a&o Kunsthalle Leipzig / Ausstellung „Tetrachromat“ /
Beim Blinzeln sieht man besser.
Die Duo-Ausstellung Tetrachormat von Tiziana Jill Beck und Maja Behrmann führt zwei künstlerische Positionen zusammen, die sich zunächst nicht im gleichen Genre bewegen. Maja Behrmann arbeitet abstrakt. Für ihre Bilder, Textilarbeiten, Skulpturen und Installation entwirft sie vielfarbige, autonome Formen, mit denen sie verspielte, geheimnisvolle Kompositionen kreiert. Ihre Sprache funktioniert über Farben, Konturen und einem Bildaufbau, der seiner eigenen Grammatik folgt.
Tiziana Jill Beck hingegen zeichnet und schreibt in figurativen Bildsprachen, oft erscheinen Tiere und Menschen, in Kombination mit Sätzen und Wörtern, die Ironie und Dramatik des menschlichen Fühlens aufzeigen. Ihre Welten basieren auf Absurditäten und träumerischen Experimenten, in denen sie auch schon mal zu der Frage gelangt: Wie nimmt ein Kolibri seine Welt war?
Als Tetrachromaten werden Tiere bezeichnet, die einen Farbrezeptor mehr als der Mensch haben, also einen vierten. Mit diesem können sie ein größeres Farbspektrum wahrnehmen. Der Kolibri zählt zu ihnen. Kommen Beck und Behrmann, jetzt mit ihren vier Augen, diesem Vogel auf die Schliche? Und wie verändert sich ihre Perspektive?
Was die beiden verbindet, liegt weniger in ihrer Arbeitsweise oder einer Kunstrichtung, sondern viel mehr in dem, was ihre Arbeiten anstoßen, was sie ermöglichen: Freiere Denkräume, andere Blickwinkel. An dieser Stelle ein kurzer Auszug aus einem Gespräch der Künstlerinnen:
„TJB: Mit vier Superaugen sieht es sich vermutlich viermal besser.
MB: Mit vier geschlossenen Augen meditiert es sich vermutlich viermal intensiver.“
Zwischen ‚Offen‘ und ‚Zu‘ können Augen aber auch blinzeln. Und vier Augen blinzeln fester. Der Blick eines zusammengekniffenen Auges vermischt die Realität mit Einflüssen aus Licht, Schatten und unschärfer werdenden Formen – was heißt, dass die Interpretationsmöglichkeiten größer werden. In Becks und Behrmanns konkretem Fall heißt das, dass die Figuration der einen, die Abstraktion der anderen mit konkreten Reizen triggert und umgekehrt die Abstraktion die Figuration in ein geöffnetes Feld führt.
So werden in der Ausstellung auch oft Arbeiten gegenübergestellt und Paare gebildet. Wie Becks Untitled (Tower Warrior) und Behrmanns Untitled (Findi). Becks Zeichnung zeigt eine Figur die sich unter einer großen Decke versteckt und lediglich ihren überlangen Arm ausstreckt, damit sie ihre Hand noch nach Außen in die Welt halten kann. Die Decke bildet ein Zelt, einen sicheren Ort, die Hand wartet entweder darauf etwas zu greifen oder etwas zu bekommen, und vielleicht wieder mit hinein, ins Unsichtbare, zu nehmen. Behrmanns eckige Konstruktion aus organischen Formen wirkt wie ein Kreislauf, ein geschlossenes System, dass aber an einer Seite Fühler oder Antennen nach Außen richtet. Die Ähnlichkeiten werden sichtbar, obwohl beide Werke unabhängig voneinander entstanden sind. Doch es geht nicht nur darum Übersetzungen von der einen zur anderen herauszulesen. Spannend sind gerade die Erweiterungen, das, was durch die Gegenüberstellung hinzukommt. Bezüglich Beck entsteht die Frage, warum eine gezeichnete Hand automatisch bedeuten muss, dass daran auch eine gezeichnete Figur hängt. Ist Becks Verhüllung in Wirklichkeit nicht eine Öffnung zur Abstraktion? Und warum ist Behrmanns Konstruktion eigentlich abstrakt? Ist sie nicht vielmehr sehr konkret und fordert uns zur Wahrnehmung von Formen und Farben heraus, ohne diese in einen narrativen Kontext zu setzen? Diese Aufgabe entspricht nicht unserer Gewohnheit, und ist daher umso spannender.
Ein weiterer, kurzer Gesprächsauszug: „TJB: Meine Arbeiten sind manchmal wie Staubfänger, Geschichten der Menschheit bleiben darin hängen. Dann muss ich lernen kein Schwamm zu sein, ich muss die Einflüsse aussortieren. MB: Das ist ja Horror ein Schwamm sein zu müssen. Und die Auslese machen zu müssen ist ja hart. TJB: Es ist hart alles hinein nehmen zu müssen.“
Da wo die eine als figurative Künstlerin die Einflüsse filtert und sich auch gegen sie abschirmen muss, kann die andere hineinholen, neue Sprachvokabeln in der Abstraktion entwickeln, wie ein Baukasten, mit denen sich neue Konstrukte bauen lassen. Es sind Gegensätze, die beide in Tetrachormat bewusst suchten.
Im Ausstellungsraum kommen große Segel zum Tragen. Sie sind aus reißfestem Polyester, einem widerständigen Fahnenmaterial, der zusammenhält ohne sich dekorativ in den Vordergrund zu drängen. Die Installation wirkt wie ein Dach für die Besuchenden, aber auch wie ein Himmel, von dem Bilder herunterhängen. Sie verbindet aber auch die Leerstellen. Denn die Künstlerinnen überladen den Raum nicht, sie lassen Platz, sie eröffnen Freiräume für Uneindeutigkeiten. Der Besucher kann Abstand nehmen, er kann aber auch direkte Nähe aufbauen. Es bleibt ihm frei, aus welcher Entfernung er seinen Aufenthalt wahrnehmen möchte.
Zurück zum Kolibri. In der Malerei Torpor (Temptation) befindet er sich in der Schwebe, seine Flügel schlagen schnell; rote Farbspuren wie Blutkörperchen, die zirkulierend verliebt den Körper versorgen. Leicht, wässrig und lichtdurchsetzt balanciert die Malerei, die einem Vogel ähnelt, auf der Leinwand. Dagegen stehen die reinschwarzen Formen von Behrmann, wie ein Scherenschnitt. Eine Un-Perfektion mit Augenzwinkern, eine schiefe Verwunschenheit. Einzig die Konturen sind klar, doch was sich im Inneren verbirgt bleibt ein Rätsel, ähnlich den Schattenbildern im Höhlengleichnis. Aber gegen die Kolibris sind wir Menschen sowieso fast farbenblind.