Kornfeld Galerie – 68 projects / Berlin /
Simin Jalilians Welten glühen. Eine Atmosphäre zwischen Angst und Hoffnung, zwischen beruhigendem Abendrot und unheilvoller Vorahnung. Sicher ist nichts, jeder Moment könnte kippen, etwas Schreckliches auslösen. Die expressiven Pinselstriche halten alles in Bewegung, zeigen keine Momentaufnahme, sondern Szenen, die sich durch ihre Lebensnähe nicht einfrieren lassen und zwanghaft ihren Lauf nehmen. Das Bild Bitte nicht abschieben spielt auf einem Flughafen. Eine Person wird von Polizei und Menschen in Uniform und mit Waffen in ein Flugzeug verfrachtet. „Das bin ich“, erzählt Jalilian, „in meinen Ängsten, in meinen dunklen Tagträumen.“ Die Iranerin kam 2016 nach Deutschland, sie will bleiben und ihre gewonnene Freiheit, auch die in der Malerei, weiterleben dürfen. Ihr Stil ist ein beeindruckendes Ergebnis persönlicher Neigungen und biografischer Kausalitäten. Schon im Iran studierte sie die Malerei der Neuen Wilden aus Deutschland. In ihrem weiteren Studium lernte sie bei einem deren Vertreter, Werner Büttner, an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Die kraftvolle Malerei, die breiten Pinselstriche, der Hang zu schmutzigen Farben und zur Düsternis lässt sich mit dieser deutsch-westlichen Malereigeschichte der 1980er Jahre assoziieren.
Doch Simin Jalilian bringt soziale, politische Themen hinein, im Gegensatz zu ihren Vorreitern. So erzählt sie im expressionistischen Stil wie die Welt heute, im 21. Jahrhundert, für sie und viele andere Frauen und Vertriebene aussieht. Mit diesem Ansatz reiht sie sich in keinen aktuellen Trend ein. Weder poppig, noch verspielt oder glatt ist ihre Bildsprache. Stattdessen entscheidet sie sich für eine Malerei, die Schmutz macht. Jalilian greift den vorher männlich dominierten Neo-Expressionismus auf und setzt ihn einem gelben f luoreszierenden Licht der Gegenwartsdramatik aus. Auf dem Bild Flüchtlinge wird ein Kind überreicht. Unklar bleibt, ob es vom Schiff an Land kommt, oder ob es die Odyssee über das Meer noch vor sich hat. Das Kind schwebt über der Grenze, zwischen Land und Wasser, erstrahlt vor dem hellen Himmel: Ein kurzer Moment der Erhabenheit in einem jungen Leben, als würde man festlich ein Neugeborenes anpreisen, der Gemeinschaft vorstellen, Gott danken. Doch der Moment ist nicht von Dauer, Gefahr zieht auf, von allen Seiten. Die Fragen nach seinem Überleben auf dem Boot, oder ob es an Land einen sicheren Ort findet, stehen in seinem tragischen Schicksal noch offen.
Ein erwachsenes Kind ist auf dem Bild Integration zu sehen: eine Frau kniet neben einer anderen, sie öffnen eine Flasche Bier mit einem Feuerzeug. „Als ich das hier, in Hamburg, lernte, 68projects by KORNFELD Fasanenstr. 68 D-10719 Berlin Tel +49(0)30 889 288 76 Fax +49(0)30 889 225 899 galerie@galeriekornfeld.comsagte meine Freundin lachend, dass ich jetzt integriert wäre“, so Jalilian. Was so heiter und gelöst anmutet, wird in ihrer Bildwelt melancholisch unterlaufen. Die Gesichter sind ernst. Der Boden bricht auf, rote Rinnsale durchspülen ihn, erinnern an die ‚Angst-Himmel‘ von Edward Munch. Das Fließende, Nicht-Haltbare, setzt sich in der Kleidung und den Körpern der Frauen fort. Die gestischen Pinselstriche Jalilians verleihen der Malerei etwas Organisches. Ästhetisch bewegt sich Simin Jalilian zwischen Abstraktion und Figuration. Malerei wird bei ihr nicht in Kontur und Innenfläche unterteilt, sondern jede einzelne Bildpartie steht einzeln auch als abstraktes Gefüge. Hier trifft L’art pour l’art auf politische Kunst. Einerseits sollte jedes gute, f igürliche Bild auch in seiner abstrakten Komposition funktionieren, was bei Jalilian der Fall ist, andererseits nimmt ihr autonomer Pinselduktus dem Figürlichen nicht seine Wirkkraft. Im Gegenteil, die Geschichte wird durch die malerische Dringlichkeit noch einmal verstärkt. Alles wirkt lebendig, die malerischen Gesten öffnen abstrakte Momente, die ausbrechen aus der Beschreibung eines Gegenstandes und den Eindruck erwecken, alles könnte sich auch Auflösen und in einen stürzenden Bach verwandeln. Das Leben steht niemals still. Die Dynamik von Jalilians Malerei presst die Kinobesucher auf dem Bild The Wow Effect zurück in ihre Sessel, während sich ihre Körper versuchen nach vorne zu beugen. Ein Kraftspiel zwischen dem Willen der Figuren und der Hand der Künstlerin. „Es sind Menschen, die sich von der Leinwand euphorisieren lassen, aber die Realität nicht sehen“, kommentiert Jalilian.
Auch wenn Simin Jalilian realistisch malt, behalten die malerischen Gesten ihre eigene Freiheit. Ein Unterordnen unter rein narrative Zwecke kommt für die Iranerin nicht in Frage. Auch Vorlagen oder Fotos benutzt sie nicht, jeder Körper entsteht aus der Fantasie und der Erfahrung. Auf Hyperreales oder den banalen Effekt einer sauberen Illusion, wie beispielsweise bei KI-Kunst, wird zu Gunsten von sinnlicher Individualität und malerischer Handschrift verzichtet. In Jalilians Bildern wird Malerei fühlbar, menschlich und intensiv. Dabei stoßen deutsche, expressionistische Bildtraditionen auf eine gegenwärtige politische Welt, vorangetrieben durch Jalilians malereiwütiges Temperament.
mehr Infos: https://68projects.com/exhibitions/simin-jalilian

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