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Titel: Erbarmungslos
Auszug: ‚Ehrlich‘ wäre nicht genug, um die Fotografien von Iiu Susiraja zu beschreiben. ‚Erbarmungslos‘ passt in ihrem Fall besser. Die finnische Künstlerin arbeitet an leicht bekleideten Selbstportraits in wohnlichen Kulissen, bestückt mit Lebensmitteln, unpassenden Accessoires und Objekten. Ihre Bildwelt erscheint surreal, ein Misch aus grotesker Erotik, aus unheimlicher Häuslichkeit, gepaart mit spielerischem Witz, Ironie, und bewundernswerter Konsequenz. Iiu Susirajas Gewicht, ihre Körperformen, die Cellulite sowie ihre Hautflecken spielen dabei eine ent scheidende Rolle. Nichts wird versteckt. Im Gegenteil, erbarmungslos wird alles offengelegt.
Susiraja bat darum, dass dieser Artikel nicht gänzlich durch ein Interview gefüllt werde. Stattdessen solle ich selbst auch meine Perspektive auf ihre Arbeit offenlegen. Ihrem Wunsch ging ich nach, und beginne diesen Text mit meinen eigenen Gedanken. Ich versuche ihre Arbeit zu greifen, einzuordnen und frage mich, was sie bei den Betrachter*innen, also auch bei mir, auslöst. Iiu Susirajas Fotografie ist eine inszenierte Fotografie, die nicht vorgibt, dokumentarisch oder spontan zu sein. Somit sind ihre Selbstportraits auch das Gegenteil von Selfies. Letztere sind zwar oft auch inszeniert, aber das typische Selfie versucht dies zu verbergen und stattdessen improvisiert zu wirken. Dabei soll der Großteil der Selfies, die auf den sozialen Medien geteilt werden, die Wahrheit übertrumpfen. Sie sind eine ästhetische und inszenierte Formulierung von Idealbildern, die digital geformt werden können, ohne dass sich das echte Leben dazwischen stellt. Ihr Dogma spielt sich in Superlativen ab: Gute Laune, Sportlichkeit, Gesundheit, Schönheit und das Von-Anderen-Geliebt-Werden sind Werte, die das Ideal-Selbst bestimmen, nicht nur von Models wie Heidi Klum, sondern von vielen Millionen Menschen. Auf der anderen Seite entwickeln sich natürlich auch andere Stimmen, User die Krankheiten, Depressionen, Unzulänglichkeiten und Natürlichkeit thematisieren.Iiu Susiraja ist aber in erster Linie keine Instagrammerin, sondern Künstlerin. Ihre Fotografien lassen sich nicht so leicht einordnen, sie sind eben keine Dokumentationen eines bestimmten Themas oder Schicksals. Susiraja entwirft als Künstlerin eine andere Welt, diese spielt keine Privatheit vor, sondern siedelt sich zwischen Theaterdramaturgie, Dadaismus und Konzeptkunst an. Der eigene Körper wird dabei einerseits mit einem Augenzwinkern auf die Schippe genommen, andererseits aber auch dramatisch verstärkt und vorsätzlich als plastisches Material eingesetzt. Zuerst dachte ich an das Selbstportrait Sunday (2014) von Martin Parr. Er stellte sich dafür in eine kitschige Fotostudiokulisse in einer etwas schiefen Pose neben eine hochgewachsene Topfpflanze und ließ damit seinen eigenen, schlaksig gewachsenen Körper noch seltsamer erscheinen.
Martin Parrs leichterer, humoristischer, aber trotzdem eindringliche Umgang mit dem Körper steht für die Gegenwart. War es im 20. Jahrhundert, besonders in der weiblichen Performance und Körperdarstellung, sehr verbreitet, dass Schmerzen, Selbstverletzungen und Selbstausbeutung durchgeführt wurden, eröffnete Cindy Sherman schonendere Bildsprachen zur Identitätsbefragung, die statt Wunden Verkleidungen und Requisiten einsetzten. Statt Entblößungen wurden szenische Rolleninszenierungen und auch Humor zum kommunikativen Ausdrucksmittel. Iiu Susiraja nimmt verschiedene Wege ihrer Vorreiter*innen auf, und doch ist sie wieder ganz anders. Entblößung ja, aber aufgefangen in einer Inszenierung aus Humor und Spiel. Dabei legt sie Spielregeln fest, die unheimlich und intensiv provokant sind, ja, die die Betrachter*innen attackieren können, weil sie ihre Position und Wahrnehmung befragen, ohne dass die Künstlerin sich dafür selbst attackieren muss. Scheint sie verletzlich, dann spielt sich das nur im Kopf des Betrachters ab. Oder? Hat man als Rezipient*in den Eindruck, dass man die Frau auf den Fotos beschützen müsse, sie wieder ankleiden, oder zumindest die phallusartigen Objekte, die zwischen ihren Beinen stecken, schnell entfernen müsse? In diesen Rezeptionsmomenten kann Scham aufsteigen. Aber ist das nicht eine bevormundende Haltung? Ist es bloß die eigene Unsicherheit? Oder einfach nur menschlich? Bin ich Voyeurin oder Kunstrezipientin, wenn ich mir diese Fotografien lange anschaue? Ich, die Betrachterin, wackelt, verliert an Halt in ihrer eigenen Rolle. Genau hier legt Iiu Susiraja den Finger in die Wunde. Und zwar mit heruntergelassener Unterhose, hängendem Bauch und einem Baguette zwischen den Schenkeln. Aber nicht bei sich selbst, sondern bei ihrem Gegenüber. Und das ist gleichzeitig eine ihrer einzigartigen Stärken. Am Ende ist es nicht sie, sondern wir, die verletzlich sind, die sich erbarmungslos fragen müssen, wo sie eigentlich stehen, wohin sie gucken und warum. Ich selbst fühle mich verunsichert, fast eingeschüchtert, frage mich, ob ich meine Rolle als Kunsthistorikerin gerecht werde, frage mich, wie ich als Privatmensch auf Iiu Susiraja blicke und merke sofort, welche Konflikte in mir selbst und mit mir selbst dabei aufkommen. Was Susiraja entblößt und nackt erreicht, ist, dass die Betrachter*innen anfangen sich selbst zu entblößen, innerlich, vor sich selbst. Eigene Narben zerreißen; in der Hoffnung bei weiterer Betrachtung des anderen Körpers zu heilen.
Gesamter Artikel und Interview: https://www.kunstforum.de/artikel/iiu-susiraja/