Essay / Katalog: Leif Borges – Wachtraum. Galerie Schwind //
Auszug:
Die Situation ist anwesend.
Der Mann im Hasenkostüm
In einer Mondlandschaft steht ein Mann mit einem Staubsauger (Staubsaugersoldat, Abb. S. ##). Er trägt eine farbbeschmierte Schürze und einen Papierhut. In der Ferne brennen zwei Feuerstellen. Der Mann nennt sich Soldat. Sein Gesicht sagt: Er ist allzeit bereit. Das ist die Situation.
An einem anderen Ort, ebenfalls auf einem trockenen, staubigen Planeten, bewegen sich zwei nackte Menschen auf einen Vorhang zu (Red Flag, Abb. S. ##). Ein Spalt leuchtet hell auf. Sie werden hindurch gehen und doch nichts anderes vorfinden. Sinnlos ist ihr Entdeckergeist, absurd ihr Vorhaben.
Weitere Tatsachen sind auffällig: Der Staubsauger findet keinen Stromanschluss. Sein eigentlicher Nutzen wird in der staubigen Landschaft bedeutungslos. Die Farbe auf der Schürze hat keinen erkennbaren Ursprung. Der Lichtschein im Vorhangschlitz gleicht einer Halluzination. Die Heimat der Protagonisten: Sowieso lebensfeindlich.
Die Bildwelten von Leif Borges sind genau das: Momentaufnahmen aus surrealistischen Traumszenarien. Situative Erscheinungen, die sind, was sie nicht sein können.
Ein Staubsauger in der Wüste verliert seine Funktion und wird zur ästhetischen Absurdität oder zum Ready-Made. In den Händen eines Staubsaugersoldaten in Malerschürze auf einem fremden, wüstenartigen Planeten wird hieraus eine surreale Narration.
Kunsthistorisch verbreitete sich jene assoziative Erzählform des Surrealismus im 20. Jahrhundert zwischen den zwei Weltkriegen. 1934 beschrieb Max Ernst dieses (imaginäre) Laboratorium rückblickend: „Die zufällige Begegnung von Nähmaschine und Regenschirm auf einem Seziertisch (Lautréamont) ist heute ein altbekanntes, fast klassisch gewordenes Beispiel für das von den Surrealisten entdeckte Phänomen, daß die Annäherung von zwei (oder mehr) scheinbar wesensfremden Elementen auf einem ihnen wesensfremden Plan die stärksten poetischen Zündungen provoziert.“[i] Mittels Verfremdung, collageartiger Kombinatorik und der Manifestation des Unbewussten, schufen die Surrealisten unheimliche, absurde und fantastische Szenerien.
Klassische Umsetzungen dieses Modells zeigte beispielsweise Giorgio de Chirico, der oft auf sandfarbenen, trockenen Plätzen bizarre Ensembles aus menschlichen Wesen, Objekten, Gebäuden und Schatten arrangierte. Leif Borges greift ebenfalls auf dieses Verfahren zurück, aber setzt die narrative Praxis in seinem eigenen Ansatz um. Die surrealistische körperliche Verfremdung übersetzt er dabei, durchaus mit einem gewissen Humor, in Hasenkostüme, Nacktheit, Tarnbemalungen, anachronistische Hals- und Haar-Accessoires oder Bettlaken, die als Gespensterkostüm dienen. Durch diese Verkleidungen sowie durch die Attribute und die ausgewählte Bildkulisse, entstehen absonderliche Begegnungen, die nicht nur die Gegenstände, sondern auch die Menschen und ihr Handeln als paradox zweckentfremdet erscheinen lassen.
Wenn eine nackte Frau auf einem steinigen Wüstenboden einen Kaktus berührt, wie auf dem Werk Arizona (Abb. S. ##), ist es gerade ihre Fehlplatzierung, die beeindruckend wirkt. Auf dem Gemälde Pet (Abb. S. ##) wird es noch drastischer: Das spießige Paar, welches in seinem muffigen Esszimmer speist, ohne zu bemerken, dass mit ihm am Tisch ein Unbekannter in einem Hasenkostüm sitzt, entblößt sich in Wirklichkeit selbst als exotische Attraktion. Nicht der Unbekannte mit Hasenfetisch, sondern das Ehepaar, welches stur und unbeeindruckt weiter isst, sorgt für den befremdlich-surrealen Moment. Ihr Handeln, ja ihr gesamtes Dasein, verliert jede Glaubwürdigkeit. Am Ende ist es der unheimlich Kostümierte, der als realistischer Bezugspunkt übrig bleibt. […]
[i] Max Ernst, in: Cathrin Klingsöhr-Leroy, Surrealismus, Taschen GmbH, Köln, 2015, S. 9