Kunstmuseum Wolfsburg / Katalog Essay /
Featuring Susie trait_my_name und Tatjana Doll /
Die Zeiten der Frauenschublade und der Ausnahmefrauen sind vorbei.
– Vom untersten Viertel zum letzten, großen Schritt. Entwicklungen auf dem Kunstmarkt.
Frauen sollen Kultur sein.
Frauen sollen Frauenkultur zelebrieren.
Frauen sollen über Frauen reden.
Frauen sollen hassen.
Frauen sollen vorne herum wütend sein.
Frauen sollen hinten herum empathisch sein.
Frauen sollen sich um Frauen kümmern.
Frauen sollen Frauenthemen behandeln.
Frauen sollen sich mit Frauenkörpern beschäftigen.
Frauen sollen bissig sein.
Frauen sollen Frauen repräsentieren.
Frauen sollen viel. Und besonders oft sollen Frauen in der Frauenschublade bleiben. Galerien, Messen und Institutionen können damit gutes Storytelling betreiben. Feminismus, Frauen und Frauen, die Frauenkörper zeigen lassen sich als Themen immer gut verkaufen. Damit bekommt man auch die Fördermittel und die Presse. Wenn Frauen aber nur eine Rolle besetzen, nur ein Thema repräsentieren, dann braucht man von ihnen auch nicht viele, es gibt immerhin noch Tausend weitere Themen, soziale und ethnische Gruppen und Rollenklischees, die dann eben natürlicherweise wieder von Männern besetzt werden. Dann reicht es für eine Galerie aus, ein paar Frauen zu engagieren, um dieses eine Themenfeld abzustecken. Den Rest erledigen die Männer. Darum ist es für alte weiße Männer, die um ihre bisher selbstverständliche, unangefochtene Position bangen, auch eine gute Nachricht, wenn die Frauen bei den Frauenthemen bleiben. Diese Männer werden das fördern, wohltätig etwas Platz abgeben, ihre Großzügigkeit in der Unterstützung zeigen. Wenn dann noch Frauen Frauen als Opfer darstellen, als verletzliche, sensible, schützenswerte Wesen, dann werden sie umso mehr männliche Gönner finden. Denn bei dieser Frauenschublade wissen die Männer, die ihre Stellungen in Wahrheit nicht teilen wollen: Frauen können ihnen nicht gefährlich werden, erst recht werden sie keine Mehrheit bilden.
Die aktuelle Lage
Solche thematischen Einschränkungen könnten einer von mehreren Gründen sein, warum in der deutschen Galerieszene die Chancengleichheit noch nicht erreicht worden ist.
Ich habe das feste Künstler*innenprogramm von 20 Galerien in Deutschland ausgezählt, darunter die größten und führendsten, aber auch mittelständische, jüngere Galerien, die aktuell sehr aktiv sind. Die Repräsentation von Künstlerinnen liegt im Durchschnitt bei 24,5 % (Stand: 1. 05. 2021). Dabei waren die einzelnen Unterschiede enorm. Auf den drei letzten Plätzen lagen Galerien mit 4% und zweimal mit 7% Künstlerinnenanteil. Ganz oben, mit knapp über 40 % Künstlerinnen, standen Galerien wie die Contemporary Fine Arts Galerie (43%) und die König Galerie (42%). Der Rest siedelte sich dazwischen an. Der renommierte und jährlich erscheinende Art Market Report von UBS Report und Art Basel kam in seiner Ausgabe von 2021 jedoch zu der Erkenntnis, dass Galerien mit einem hohen Frauenanteil die wenigsten Verkaufseinbußen im Jahr 2020, also im Corona-Jahr, hatten.[i]
Da kann die deutsche Galerieszene noch etwas lernen.
Laut dem Art Market Report 2021 sieht es auf dem internationalen Kunstmarkt also bereits etwas anders aus. Dort wurde der Künstlerinnenanteil, der von Händlern (wozu größtenteils Galerien zählen) repräsentiert wird, auf 37% berechnet. Auf dem ‚secondary market‘ seien es 24%, was durch die (allseits bekannten) historische Bedingungen erklärt wird. Dies zeigt sich auch in den weiteren Zahlen, die die Karrierestufen der repräsentierten Künstlerinnen aufsplitten: 33% gelten als etabliert, 40 % befinden sich in ihrer mittleren Karrierelaufbahn und den Anteil von 48% bilden die aufstrebenden Künstlerinnen.[ii] Somit entsteht die Zukunftsprognose, dass sich aus der aufstrebenden, neuen Generation bald mehr Künstlerinnen etablieren werden. Während UBS und Art Basel den gesamten, internationalen und etablierten Kunstmarkt fokussieren, befasste sich das Statistische Bundesamt mit den in diesem Land lebenden Künstler*innen, die auch zu den schlecht Verdienenden zählen. Hier erklingen andere Zahlen. In ihrem Spartenbericht Bildende Kunst von 2021 geben sie zunächst die allgemeine Geschlechterverteilung an. Im Bereich ‚bildende Kunst/Graphik‘ erfassen sie eine Mehrheit von 59 % Frauen. In einer Unterkategorie, beispielsweise in der Malerei, sind es ebenfalls über die Hälfte, nämlich 57 %. Nebenbei bemerkt liegt der größte Unterschied in der Fachdisziplin ‚Angewandte Kunst‘, hier sind die Frauen mit 64 % vertreten, während sich nur 36% der Männer dieser widmen.[iii] In der Bildenden Kunst wurden die Jahreseinkünfte durch verkaufte Werke, Honorare und andere künstlerische Aktivitäten verglichen. In der Einkommensrubrik bis zu 10.000 Euro überwiegten die Frauen, die Männer hingegen in der Rubrik ‚10.000 +‘.[iv]
Im durchschnittlichen Monatseinkommen des Jahres 2019 spiegelt sich dieses Verhältnis ebenfalls wieder. Unter 1100 Euro verdienten 40% der Männer und 60 % der Frauen. Bei einem Einkommen von 1100 – 2000 Euro gleicht es sich fast an: 53 % Männer und 47 % Frauen. Im höheren Einkommenssektor geht die Schere hingegen weiter auseinander. Ein Monatseinkommen von 2000 Euro und mehr, verdienen 69 % der Künstler und nur 31 % der Künstlerinnen.[v]
Im Durchschnitt errechnete das Statistische Bundesamt die Jahreseinkommen unter den Künstler*innen, die in der KSK (Künstlersozialkasse) versichert sind, welche ebenfalls gegen eine bereits geschehene Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt spricht: 21.447 Euro verdienen im Schnitt die Männer, die Frauen nur 15.337 Euro.[vi]
Mehrere Fazits heißen also: Künstlerinnen brauchen umso mehr eine große, starke Galerie als festen Partner an ihrer Seite, um die Karriere anzutreiben. Gleichzeitig kommt ein hoher Künstlerinnenanteil auch den Galerien und Händlern zu gute. Auch wenn die Männer im oberen Preissegment bisher (noch) besser verdienen, verändert sich der Trend in Richtung Gleichstellung.
Im unteren Einkommenssektor schneiden die Frauen jedoch immer noch schlecht ab. Wie die meisten der diskriminierenden Ungleichheiten, treten diese in und durch Armut stärker auf. So muss man sich nicht nur in der Geschlechterfrage, sondern auch in allen anderen Anlässen von Diskriminierung und Benachteiligung fragen, ob hier die Armut nicht als einer der größten Multiplikatoren, händeringend und mit an erster Stelle bekämpft werden müsste.
Angebot und Nachfrage
Doch zurück zur bildenden Kunst. Wenn Frauen einen größeren Teil von Galerieprogrammen ausmachen wollen, dann kann dies nur über differenzierte und individuelle Positionierungen geschehen, die genauso unterschiedlich und breit aufgestellt sind wie die der Männer. Bleiben Frauen in der Frauenschublade, dann werden einzelne erfolgreiche Künstlerinnen die Ausnahme bleiben. Erst wenn sie sich, wie die männlichen Kollegen, inhaltlich ebenfalls mit den verschiedensten Aspekten von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Spiel, Humor, Ethik, Philosophie oder bewusst nur mit reiner Ästhetik beschäftigen und sich weiter von klassischen Frauenthemen lösen, wird eine so große Vielfalt eintreten, die es braucht, um die Hälfte aller Plätze einzunehmen. Man denke nur an ein Sternerestaurant, das 20 neue Köch*innen sucht. Wenn alle weiblichen Bewerber sich nur auf italienische Pasta spezialisieren, dann wird das zukünftige Team aus 2 Frauen und 18 Männern bestehen.
Schaut man sich die Künstlerinnen in den Galerien an, vor allem in den Galerien, die mit besseren Quoten auffahren, begegnet man bereits vielen heterogenen Positionen. Im nächsten Schritt liegt das Problem jedoch bei den Museen, Institutionen und Kuratoren, die sich gerne mit Frauen-Themen schmücken. Was bringen viele ausgezeichnete Köchinnen, die von Wildgerichten, über Meschoui bis zum Sushi alles abdecken, wenn Gourmetkritiker*innen doch wieder nur nach Spaghettitellern suchen um diese auszuzeichnen? Der Grund, dass Gourmetmagazine mit Pastarezepten die meiste Aufmerksamkeit bekommen, hilft dann auch nicht weiter.
Das gleiche Diskriminierungsprinzip wiederholt sich übrigens überall dort, wo man von bestimmten Künstler*innen erwartet, dass sie bestimmte Gruppen und Themen repräsentieren. Wenn sich afrikanisch stämmige Künstler*innen hauptsächlich mit Afrika und Rassismus beschäftigen sollen, geflüchtete Künstler*innen aus Kriegsgebieten mit dem Krieg oder Graffitikünstler*innen mit Sozialarbeit und Kunst-für-Alle-Konzepten. Wer Künstler*innen direkt oder indirekt vermittelt, dass sie sich in „ihre“ Schubladen hineinlegen müssen, weil sie sonst zu befürchten hätten, nicht genug Aufmerksamkeit und Ausstellungseinladungen zu bekommen, der verfehlt die Vielfalt und den Aufbau von individuellen Persönlichkeiten, die jedes innovative Kunstsystem braucht.
Zu diesem Problem passt auch der 2001 veröffentlichte Aufsatz „Es kann nur eine geben. Überlegungen zur ‚Ausnahmefrau‘ “ von Isabelle Graw. Darin analysierte sie die Situation der Jahrtausendwende. Graw beschrieb das Modell der Ausnahmefrau, deren Erfolg eben (nur) die Ausnahme einer weiter bestehenden Regel in einer von Männern dominierenden Welt ist. Folglich logisch ist der Umstand, dass die Ausnahmefrau nicht ausreicht, um etwas in dem bestehenden System zu ändern.[vii] Graws damals zutreffende Analyse ist heute 20 Jahre alt und kaum mehr aktuell. Dafür gibt es mittlerweile schon zu viele Akteurinnen in der Kunstwelt. Aber ihr Modell verdeutlicht, warum eine inhaltliche Einschränkung die Einschränkungen der Ausnahmefrauen begünstigen, genauso wie die der Ausnahmeafrikaner*innen oder der Ausnahmeflüchtlingskünstler*innen.
Für die Zukunft
Der gute Weg der letzten Jahre lässt sich aber ebenfalls mit Zahlen aus dem Art Market Report abstecken. 2017 wurden auf den weltweit größten fünf Kunstmessen nur 25 % Frauen ausgestellt.[viii] In ganz Europa waren Frauen 2019 zu 26 % in Galerien repräsentiert, den niedrigsten Platz belegte Asien mit 24%, in Nordamerika erreichten sie den höchsten Anteil, nämlich 34 % .[ix] Wie zu Anfang bemerkt, verlautet der Report 2021 einen internationalen Anteil an Künstlerinnen in Galerien von 37 % – ein eindeutiger Anstieg. Auf dem globalen Kunstmarkt wurden unter den jungen, aufsteigenden Künstler*innen zwischen den Jahren 1995 – 1999 nur 35 % Frauen gezeigt, in der Kategorie ‚Star-Künstler*innen‘ 20%. Während der Jahre 2015 – 2019 waren es unter den aufstrebenden Künstler*innen 43% Frauen und unter den Stars 26%.[x]
Auch hier zeichnet sich eine unmissverständliche Tendenz ab.
Die Zeichen stehen also gut. Es gibt allen Grund für Optimismus. Die großen Feminismuskampagnen von Institutionen, von feministischen Künstlerinnenbewegungen und von frauenfokussierten Historiker*innen haben viel geleistet. Gerade auch mit dem, was ich in diesem Essay kritisiert habe: Mit einem konzentrierten Fokus auf eine Sache. Gewiss war diese Themenschärfe, also die thematische Eingrenzung wichtig. Für den weiteren Weg muss sie es aber nicht sein, das habe ich bereits begründet. Denn die Problematik ist allseits bekannt, es geht nicht mehr um Veränderungen in einem unteren Viertel oder in einem aufsteigenden Drittel des Ganzen.
Es geht jetzt um die große Breite, der nächste Schritt wird die Hälfte der Kunstwelt, das gleichberechtigte Spielfeld anvisieren. Einladungen zum reinen Frauenfußball sollten nun abgelehnt werden, der Wettkampf mit dem anderen Geschlecht wird überall eröffnet. Darum sind Frauen auch keine Kultur, sondern gleichberechtigte Akteure auf allen kulturellen Feldern. Dafür reicht eine Themenkonzentration nicht aus. Bereiche in denen es mehr Künstlerinnen braucht sind zum Beispiel Land Art Projekte, Kunst am Bau, Kooperationen mit Ingenieur*innen, urbane Monumentalinstallationen, aber auch das spielerische, kindliche und absurde Kunstfeld. Es braucht mehr Künstlerinnen, die die exzentrische Selbstinszenierung zelebrieren, die Abenteuerlust, die Maschinen und den Humor, aber die auch zu ihrer Menschenscheu, ihrer Schüchternheit und Kompliziertheit stehen. Auch unter den Duos und Kollektiven braucht es mehr Frauen. Ebenfalls im Graffiti oder in der Computerspielkunst. Das schöne, aber damit einhergehende schwache Mutterbild muss durch ein stärkeres, führendes ersetzt werden. Das gehobenere Alter darf nicht nur Männern gut zu Gesicht stehen. Alle Terrains sind jetzt offen. Und das ist die wichtigste Nachricht und Aufgabe in den nächsten Jahren: Die Differenzierung in alle Richtungen. Die Zeiten der Ausnahmefrauen sind vorbei.
[i] Vgl. Art Basel / UBS Report, The Art Market 2021, Clare McAndrew (Hrsg.), 2021, S. 88
[ii] Vgl. ebd. S. 88f
[iii] Vgl. Statistisches Bundesamt, Spartenbericht Bildende Kunst 2021, S. 43
[iv] Vgl. ebd. S. 48
[v] Vgl. ebd. S. 49
[vi] Vgl. ebd. S. 51
[vii] Vgl. Isabelle Graw, Es kann nur eine geben – Überlegungen zur „Ausnahmefraus“., in: Texte zur Kunst, Nr. 42, 2001, S. 79f
[viii] Vgl. Art Basel / UBS Report, The Art Market 2018, Clare McAndrew (Hrsg.), 2018, S. 218
[ix] Vgl. Art Basel / UBS Report, The Art Market 2020, Clare McAndrew (Hrsg.), 2020, S. 106
[x] Vgl. ebd. S. 108