Die Zeit// Ausstellungsbesprechung: Schirn Kunsthalle – Widlnis
Wer „Wildnis“ sagt, der stammt aus der Zivilisation. Und wenn eine Kunstausstellung den Namen „Wildnis“ trägt, dann wird diese mit aller Wahrscheinlichkeit nach in einer westlichen Metropole stattfinden. Spricht man kulturgeschichtlich über die Wildnis, dann ist das Fremde gemeint, ein Gegenentwurf zum regelbelasteten, konformen und grauem Lebensalltag. […]
Doch denkt man vom Objekt zum Subjekt, das heißt von der Wildnis zum Wilden, dann stößt man unweigerlich auf die düstere Kehrseite dieses Topos. Dann muss man darüber sprechen, wie Westmächte im Kolonialismus mit den von ihnen ausgemachten Wilden, den „Unzivilisierten“, ihrem Land und ihren Kulturgütern umgingen, dann muss man daran denken wie Fotoexpeditoren aus den Indianern kostümierte Klischees machten, oder wie ein scheinbar linker Geist der Moderne, die von ihnen so genannten „primitiven Völker“ bevormundete. Verzückte, europäische Gelehrte und Künstler stellten Afrikaner auf die gleiche Entwicklungsstufe mit Kindern, ihre „magisch primitive“ Kultur sollte schließlich nur durch die westliche Reflexion und Weiterverwertung zu einem Stück Hochkultur werden. Ja, die romantisch moderne Wildnis-Faszination basierte auf einem realen, kulturellen Nicht-Verstehen. Andererseits muss man unweigerlich auch an die „Entartete Kunst“, die Vorstellung einer besseren Rasse, also an die Ideologie des Nationalsozialismus denken. Jedoch werden diese Aspekte in der Schirn-Ausstellung nicht thematisiert. Da der Fokus auf der Natur und den Tieren liegt, werden der Mensch und damit auch die Idee des „Wilden“ strategisch umgangen. Darf man das? Ist ein Ausstellungshaus nicht dazu verpflichtet auch die Abgründe einer Themenlandschaft aufzuzeigen? Die Kunst- und Kulturgeschichte kritisch zu reflektieren? Gibt es einen Auftrag zur Aufklärung? […]
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https://www.zeit.de/2018/38/schirn-kunsthalle-frankfurt-wildnis-ausstellung