Vortrag Schwartzsche Villa: Tollste Kunst

Vortrag „Tollste Kunst“ und Vernissage von Okka-Esther-Hungerbühler „Die faule Nuss“

Mein Vortrag basiert auf meinem Buch „Tollste Kunst – Kindliche Ästhetik in der zeitgenössischen Kunst“, transcript Verlag

Auszug:

„Kunst ist totales Spiel“[i], „Kunst ist kinderleicht […] Kunst ist immer das tollste Spiel mit tollsten Spielzeugen […]“[ii], heißt es in mehreren Manifesten des Künstlers Jonathan Meese, der gerne mit seiner Mutter öffentlich auftritt und die ein wichtiger Akteur in seiner Lebensperformance darstellt.

Doch das Spiel und das Kindliche tritt auch bei vielen anderen Künstlern auf:

Die Kunsthistorikerin Borchardt-Birbaumer weist anhand des Künstlerkollektivs Gelitin, die unter anderem für ihre Werke aus Fäkalien und Knetmasse bekannt wurden, auf „die urzeitlich-kindliche Identität des Künstlers“[iii] hin. Gelitin inszeniert sich gerne als Spielgruppe, die ebenso mit ihren Körpern wie auch mit ihren Werken spielen und kindliche Schaffens- und auch Schadenfreude als ihr Künstlercredo proklamieren.

Aber auch Galerien nehmen diese Tendenz auf: In dem Ausstellungskatalog KIDS der Contemporary Fine Arts Galerie Berlin heißt es: „Heute wollen Erwachsene sein wie Kinder […]. Alle wollen (und sollen) nur noch spielen. Die ganze Welt ist Kind.“[iv]

In dieser Ausstellung waren unter anderem Werke von Georg Baselitz, Gert und Uwe Tobias, Peter Doig und Hans Laabs zu sehen.

Ein Erkenntnisschwerpunkt in Kids wird von Nicole Hackert und Carolin Leistenschneider zur Sprache gebracht: Der Blick auf Kinder und ihre Darstellung erlaube Rückschlüsse auf gesellschaftliche Konstrukte und Realitäten gerade durch die verschiedenen Epochen hindurch. Die Kunst stellt hierfür einen wichtigen Ort der Reflektion dar. In Kids konnte der Besucher verschiedenen Kinderportraits begegnen, das früheste Werk wird auf das Jahr 1903 datiert. Einerseits handelt es sich um Leihgaben, andererseits fertigten Künstler wie Tal R oder Marcel Eichner eigene Werke für das Galerieprojekt an. Die erwachsene Wahrnehmung von Kindern, von der Kindheit und der Idee von Kindlichkeit sowie der damit verbundene Stellenwert werden kulturell und gesellschaftlich verortet. Somit antworteten diese Portraits nicht nur auf die eigene, individuelle Auseinandersetzung mit der (eigenen) Kindheit, sondern sie zeigen auch das Kind als Projektionsfläche für gesellschaftliche Erwartungen, Sehnsüchte und Zuschreibungen ihres Stellenwertes.[1] Das Kind wird durch die Kunstwerke also nicht nur als Subjekt beschrieben, sondern auch als stellvertretendes Objekt, welches je nach Künstler eine andere Art der Kindlichkeit verkörpert.

[1] Vgl. Absatz mit: Hackert, Nicole/Leistenschneider, Carolin, in: Contemporary Fine Arts, KIDS, 2012, S.7f

[i] Meese, Jonathan, Ausgewählte Schriften zur Diktatur der Kunst, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2012, S.431

[ii] Ebd., S.474

[iii] Borchardt-Birbauer, Brigitte, Chaosmose, in: Wipplinger, Hans Peter (Hrsg.), Sarah Lucas, Hieronymus Bosch, Gelatin, Walter König Verlag, Köln, 2011, S.45

[iv] Blaschke, Estelle/Nedo, Kito, Kids – The Right to Children, in: Contemporary Fine Arts (Hrsg.), Kids, Snoeck Verlagsgesellschaft mhH, Köln, 2012, S.14