Kunstzeitung // Kommentar /
Andrea Bowers MeToo-Installation „Open Casket“ stand 2019 in der Unlimited-Halle der Art Basel. Die roten Wände waren mit Fotos und
Textdokumenten tapeziert: Collagen aus Zitaten von betroffenen Frauen,
die die amerikanische Künstlerin im Internet fand, sowie öffentliche
Statements der beschuldigten Männer. Ein Werk, das die MeToo-Bewegung
stärken und die Täter schwächen sollte. Umstritten war tatsächlich nie
der Inhalt der Arbeit, sondern die Art der Realisation. Kurz nach der
Eröffnung meldete sich eine zitierte Frau bei der Messe: Sie wurde nicht
danach gefragt, ob ihr Statement und ihr gepostetes Foto verwendet werden dürfe. Sie stimmte nicht zu, dass mit ihrer Geschichte ein Kunstwerk entsteht, was öffentlich ausgestellt und verkauft würde. Die Art-Basel-Leitung reagierte prompt und entfernte den Text und das Bild.
Verständlich, nicht nur aus juristischer Sicht. War es wirklich ein
gelungenes politisches Kunstwerk? Oder machte es sich die Künstlerin
nur all zu leicht? Benutzte sie nicht die Geschichten der Anderen, um in erster Linie sich selbst in ein gutes Licht zu rücken? Bowers hätte die Frauen einfach kontaktieren können, um mit ihnen zusammen an dem Werk zu arbeiten. Aber dann wäre sie weniger als Künstlerin und dafür mehr als Aktivistin, Journalistin oder Reporterin aufgetreten. Wäre die Arbeit ohne die alleinige Urheberschaft eines bekannten Künstlers je auf der Art Basel ausgestellt worden? Auch der Aktivisten-Gruppe „Zentrum
für politische Schönheit“ (ZPS) warf man kürzlich vor, sehr private
Grenzen überschritten zu haben, ohne dass die Botschaft ihrer Arbeit
kritisiert wurde. Sie verwendeten eigenmächtig Knochen und Asche von
Holocaust-Opfern für ihre Gedenksäule zur Aktion „Sucht nach uns“, die
sie in Feldern nahe des Konzentrationslagers Ausschwitz II fanden. Auch
hier hätten dem ZPS Nachfragen, Absprachen und Kollaborationen im
Vorfeld gutgetan.
Zur Kunstwelt und noch viel mehr zum Kunstmarkt gehört es dazu, dass
Urheber benannt werden. Kunstwerke sollen von Künstlern stammen. Doch
gerade auf dem Feld der politischen Kunst ist das Leben der Anderen ein
wichtiger (Werk-)Teil. Hier sollten sich mehr Künstler trauen, ihren
alleinigen Urheberstatus abzugeben, um sich mit den Nicht-Künstlern
zusammenzuschließen. Und warum sollte nicht auch kollaborativer Aktivismus zur Kunst führen?
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