Kunstzeitung //
Kaum Zweifel,
kein Zwang zur Rechtfertigung
Larissa Kikol über Malerei, die sich nicht mehr intellektuell beweisen muss
Im 20. Jahrhundert mussten viele hinein: in den akademischen Beichtstuhl. Gebeichtet wurde oft, wenn man in Betracht zog, zu malen.
Und natürlich auch dann, wenn man es schon getan hatte. Der Priester, also
die Institution Kunst, befragte den Abkömmling streng. Daraufhin folgten
seine Erklärungen, Verteidigungen, die sich auf einen konzeptuellen Diskurs beriefen. Man wolle mit der Malerei nur Fragen aufwerfen.
Zum Beispiel nach der Oberfläche, der Begrenzung
der Leinwand, dem Abbildhaften, der Omnipräsenz
der Fotografie, der Wirklichkeit und
nach kunstkonzeptuellen Problemen. Reichte das der Institution nicht,
musste man erneut beweisen, dass die Pfeife keine Pfeife ist, sondern nur
eine Lüge. Malen wollte man natürlich nicht, man tat es dem Diskurs und der Theorie zu liebe. Damit war die Beichte abgenommen.
Stark übertrieben ist diese Parabel nicht. Die Entscheidung für die
Malerei war in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts problematisch.
Aber natürlich gab es immer wieder Ausnahmen, beispielsweise die Neuen
Wilden. Dass sich dies in den letzten Jahren veränderte, ja sogar umkehrte,
ist ein Bestandteil, der die gegenwärtige Kunst ausmacht. Die aktuelle
Malerei steht nicht mehr unter dem Druck, sich intellektuell beweisen und
absichern zu müssen. Nur wenige Kunststudenten interessieren
sich heute für eine malereikritische Theorie. Dafür reizt sie die
geistige Auseinandersetzung mit der Existenz des Gemalten umso mehr.
Auch nach dem Studium ist für die meisten die Bejahung der Malerei der
wahre Motor, nicht der Zweifel an ihr. Darum wird Malerei auch nicht
mehr als Strategie eingesetzt. Malerei ist kein Chip, der im konzeptuellen
Kunstspiel nach Zählung aller Karten und mit aufgesetztem Pokerface in
die Tischmitte geworfen werden kann. Malerei ist wieder ein eigenes Spiel:
Spielfeld, Spielregeln und Spielobjekt zugleich.
Aneta Kajzer, Teilnehmerin der „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“-
Ausstellung, beschreibt die gegenwärtige Haltung als stark intuitiv. Auch sie
selbst gehe immer von der Farbe aus, lasse sich vom Material leiten, nicht
von Theorien. Zwar lese sie über Malerei, aber ihre Praxis bleibe eine
intuitive. Ihre Motive, Figuren und Gesichter, geben nie den ersten
Anstoß zum Bild. Am Anfang steht die Geste, die Farbmaterie, und irgendwann später, beimMalen, schleichen sich Augen und
Gesichter hinein. Auch für ihren „Jetzt!“-Kollegen Andreas Breunig ist
die Farbe in ihrem gestischen Auftauchen essentiell. Für ihn geht es um
Reibung und Spannung zwischen den Linien, er personalisiert die abstrakten Gesten fast zu einer streitenden
Nachbarschaftsvereinigung. Andere Maler sind stärker von
der Figuration geleitet, so die jungen Repräsentanten der Leipziger Schule.
Mirjam Völker, Titus Schade oder Robert Seidel sind spannende Positionen.
Doch weit über Leipzig hinaus gilt: Das ‚Phänomen der Figuration‘ gibt es
nicht mehr, denn eine vielleicht einst wahrnehmbare und abgrenzbare Einheit wurde durch seine immens heterogene
Entfaltung in ästhetischen und soziologischen Kontexten ausgehebelt.
Auch existieren keine zwei Ferienlager mehr, die ‚abstrakt‘ und ‚figurativ‘ heißen und sich gegenseitig das Fähnchen
klauen wollen. Diskutiert wird über Motive genauso wie über Farben und
Formen.
In großen Teilen der gegenständlichen Malerei geht es um individuelle
Entwürfe für totale Bildwelten, um Narrationen und Stimmungen
– gegenwärtig erleben wir gar einen surrealen Zyklus mit konsequenten
Erfindergeistern statt träumenden Inspirationsmedien.
Die Protagonisten und Lebenswelten sowie die Bezüge
zu gesellschaftlichen, postkolonialen, popkulturellen oder feministischen
Themen geben die Reflexionen vor. Die Bildwelt ist ganz und gar Bildwelt, eine langatmige, akademische Diagnose über den einfachen Tatbestand, dass es sich um eine figurative Bildwelt handelt,
gehört der Vergangenheit an. Wer über aktuelle Malerei diskutieren
will, der muss sich beschäftigen mit dem Leben von Lila und dem Knatsch
zwischen den Farben (zum Beispiel bei Aneta Kajzer, Andreas Breunig),
Monstertieren und Trash-Lifting (etwa bei Stefanie Gutheil und Conny
Maier), fleischlichem Realismus (unter anderem bei Amoako Boafo), Malerei als Verdauung (zum Beispiel bei Jonathan Meese), Gesten der Coolness (Cecily Brown), Haptik und Konsequenz
(beispielsweise Katharina Grosse und Martin Eder) oder Science-Fiction
(etwa bei André Butzer und Titus Schade). Der Fetisch Malerei wird wieder
gelebt, genauso wie der Farb- und Motiv-Fetischismus. Eine konzeptuelle,
naive oder missmutige Abarbeitung an der Theorie, der Kunstgeschichte
oder an älteren Kollegen ist hingegen kaum noch spannend. Der Blick richtet sich selbstbewusst nach vorn. Der
Beichtstuhl wurde übermalt.