Verlag Kettler / Kunsthalle Recklinghausen / Essay: „Katzen und Vögel – Dahingeschieden und umgebettet.“
Hier ein Einblick:
„Sehr lustig ist die Katze. Sehr nachdenklich ist die Katze.
Die Katze ist die Am-Niedlichsten-Katze, guck dir doch schnell noch die Katze an!
Wie sie doch so schön und wie sie guckt und sieh sie dir an.
Und dann verliert sie sich, wird gefangen gehalten, wartet auf Rettung, auf deine Rettung und sieh sie dir ganz genau an.
Das Spiel mit dem Vogel, die Am-Niedlichsten-Katze, wie sie doch tötet und quält, die romantische Katze, aus Vergnügen.
Dann vergisst sie ihren Spaß, jagt den nächsten, im tödlichen Flow, die Treue des Serienkillers.
Ein Gemetzel. Federn und Lustigkeit.
Schau, wie schön sie doch so da. Und guck sie dir an.
Das Foto, die Trophäe, als Lüge, vom Haustier, über die nachdenkliche Katze.
Verdrängt ist das Gemetzel.
Wenn Markus Willeke Katzen malt, dann malt er menschliche Interpretationen und subjektive, emotionalisierte Projektionen auf kleinere, behaarte Tiere, die in Wohnungen und, noch wichtiger, auf Kissen passen. Als Vorlage dienen ihm Fotos ihrer Besitzer, die sie zu einer Zeit machten, in der ihre Welt noch in Ordnung war. In der die Katze IHRE Katze war. Werden diese Bilder dann jedoch auf der Straße aufgehangen, ist der Verlust bereits geschehen, dann ist IHRE Katze längst tot oder frei. Der einstige Seelentröster heißt jetzt die entlaufene Katze. Die gekidnappte Katze. Die in ein Keller-Loch-Gefallene Katze. Die obdachlose Katze. Die arme Katze. IHRE Katze war sie nie, sie musste nur herhalten. Aber IHRE Opfer waren echt, wie die Vögel, sie starben eines natürlichen Todes, der im Kreis gelaufenen Natur.
Das Fotomaterial stammt aus der Amateurfotografie, manchmal steht eine desinteressierte Topfpflanze daneben, manchmal ist der Bildausschnitt seltsam gewählt, manchmal taucht ein gleichgültiger Teppich auf, manchmal ist das Bild unscharf. Private Handyfotos werden es sein, die meisten aus dem Affekt geschossen. Diese Artefakte malt Markus Willeke mal überlebensgroß und mal kleiner nach – eine offene Serie ohne Ende, vielleicht wird sie so lange dauern, wie Menschen eben nach Katzen suchen. Die unglamourösen Motive verraten viel über ihre Besitzer und die Vorstellung von IHRER passenden Katze – manche wollen melancholische Katzen, manche wollen Arrogante, manche Verträumte und andere wollen lustige Katzen für den Familienchat auf WhatsApp. Somit werden die Katzenfotografien zum soziologischen und oft genug zum psychotherapeutischem Untersuchungsfeld.
Ein klarer Kontrast zu den fast religiösen, in den Superlativ sterilisierten Katzen-Ikonen von Martin Eder. Aber weder Eder noch Willeke interessieren sich im besonderen Maße für Katzen. Was beide verbindet, ist jedoch das Interesse an der menschlichen Projektion auf die Vorlage „Katze“. Als Charles le Brun um 1670 die Ähnlichkeiten der Physiognomie von Mensch und Katze zeichnete, erschuf er ein frühes Portrait eines Aliens, seine Projektion des Tieres auf ein Gesicht war jedoch auch eine Studie zum menschlichen Seelenleben, um die Katze ging es ihm weniger. Bei Albrecht Dürer verwies die dicke Katze auf einen cholerischen Typus (Adam und Eva, 1504) und bei Francisco Goya Y Lucientes (Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, 1799) taucht ein Katzen-Luchs in den Alpträumen des Künstlers auf. Die Katze lässt sich in vielen Stationen der Kunstgeschichte wiederfinden, dabei verrät sie immer mehr über den Menschen und seine Epoche als über sich selbst. Bei Pablo Picasso wird die Katze im Jahr, in dem der Weltkrieg ausbricht, zur blutdürstigen Diva des Gemetzels (Katze, einen Vogel zerreißend, 1939). In Stücke zerfledderten der Vogelkörper und seine Organe.
Dass Willekes Vögel tot sind, hat wiederum andere Ursachen. Zwar gibt es viele Sterbefälle auf Grund von Katzen, jedoch sind die von Markus Willeke porträtierten Vögel durch andere Umstände verschieden. Hier ist ausnahmsweise die Katze unschuldig, dafür waren es IHRE Besitzer. Das leblose Daliegen geschah durch Klimakatastrophen und durch die Vernichtung von natürlichen Lebensräumen. Begegnet Markus Willeke einem toten Vogel, dann rückt er ihn sacht zurecht, um ihn zu fotografieren. Vielleicht ebenfalls aus dem Affekt. Vielleicht ebenfalls mit dem Handy. Im Studio wird das Bild auf dem Boden gemalt, der Vogel wirkt aufrechtstehend, wirkt ausgefaltet, oder lebendig liegend, gemütlich auf die Seite gerollt.
Der Tod wird formal, über die Kontur gehend, übergangen. Erst später, bei längerer Betrachtung, kommt er wieder zurück. Dann helfen auch keine Posen und keine Linien mehr. Dann ist es schon zu spät, ähnlich wie bei den Katzen, ist der Verlust schon geschehen.
Das Verstorbene wird mit Schönheit geweiht, auch der tote Vogel bleibt ein schöner Vogel, nur die tote Katze bleibt eine Vorlage eines früheren Zustandes, als Malerei taucht sie nicht auf. Wahrscheinlich findet Markus Willeke einfach nur zu wenige, tote Katzen. (…)“

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