Kunstmuseum Bonn

Museumsmagazin // Essay / „Streitet wieder. Experimentiert wieder. Seid mutig.“ /

„Richtet man sich in erster Linie nach der Kunst oder nach dem
Publikum? Wieviel Rücksichtnahme auf die Gefühle der Besucher:
innen ist notwendig? Wieviel Rücksichtnahme auf die
Freiheit der Kunst? Zwischen diesen beiden Polen siedeln
sich die aktuellen Debatten um die Rolle und die Verantwortung
der Kunstmuseen an. Dabei sind die konkreten Themen:
ökologischer Fußabdruck, Klimawandel, Antidiskriminierung,
Gleichstellung, Minderheiten und Neu- bzw. Umschreibungen
der weißen, männlichen Kunstgeschichte. Hinzu kommen
Felder wie die Digitalisierung, die Follower, das Marketing.
Über jeder Entscheidung kreisen die Fragen: Ist man zu oberflächlich?
Zu genormt? Zu rückständig? Zu ungerecht? Zu
elitär? Zu banal? Wird man gefallen oder nicht? Und doch oder
vielleicht gerade deswegen ähnelt sich vieles. Ausstellungsund
Begleitprogramme scheinen oft nicht mehr überraschend,
Diskurse verflachen, ein Nachwuchs, der wachrüttelt und
neue Ideen ausprobieren will, findet – im Gegensatz zur Theater-
welt – meistens keinen Zugang in die Institutionen.

Als allgemein verinnerlicht, setze ich voraus, dass
neue Ausrichtungen und Themenschwerpunkte
in Sammlungen und Ausstellungsprogrammen
hinsichtlich der Ablösung einer weißen homogenen
Kunstwelt vonnöten sind. Und zwar nicht
durch bevormundende Separierungen in Kunst
von Frauen, in Kunst von weißen, alten Männern,
in Kunst von Schwarzen, in Kunst von Juden,
in Kunst von Arabern oder in Kunst von Politikgeflüchteten,
sondern in einer erkenntnisreichen
Durchmischung und direkten Gegenüberstellung
auf Augenhöhe.
Daher möchte ich in diesem Text zwei andere
Problematiken in den Vordergrund stellen: Die
erste betrifft die generelle Frage wie die aktuell
aufkommende Politisierung in Kunstmuseen zu
betrachten ist, die leider oft einen zu genormten
und deshalb einen zu bequemen Beigeschmack
von Politik-Lifestyle und einer L’art politique
pour l’art politique in sich trägt. Die zweite Problematik
besteht in dem Mangel an spontaneren,
innovativeren Handlungsfähigkeiten, Projekten
und Experimenten.
1.
Streit und leidenschaftliche Diskussionen scheinen
heute negativ behaftet zu sein, ja sogar Angst zu
machen, dabei galten sie einmal als linker,
künstlerischer Nährboden und als gesundes,
demokratisches Klima. Dieses Phänomen
betrifft aber nicht nur die Institutionen oder die
Kunstwelt, sondern auch die Medien und die
breite Gesellschaft. Gut und Böse werden wieder
durch einfachste Denkmuster in Schwarz und
Weiß unterteilt, Diskussionen scheinen daher
nicht gebraucht zu werden. Ein gutes Gewissen
lässt sich in sloganartigen Meinungsbekundungen,
durch ein paar Posts mit schwarzen Quadraten
oder Bildern mit den richtigen Hashtags
ausdrücken. Das „Gute“ ist dabei standardisiert,
genormt, angepasst und doch wieder elitär. Man
zeigt Konzeptkunst mit Schlauchbooten oder
zurückgelassenen Pullovern als Readymade,
und schon hat man intellektuell und emotional
an der Flüchtlingskrise teilgenommen. Man
zeigt Gemälde von Künstlerinnen mit nackten
Frauenkörpern, und schon wurde ein feministisches
Statement gesetzt. Man zeigt Fotos von
homosexuellen Schwarzen, und schon hat man
sich engagiert. Man cancelt, und schon ist man
gut. Leider scheint es heute so einfach zu sein.
Doch das sollte es nicht. Wenn politische und
soziale Probleme und Ungleichheiten thematisiert
werden, warum dann nicht komplexer, tiefer,
schwieriger, unangenehmer, durch Debatten,
Streitfragen, Wiedersprüche und wirkliche
Handlungsoptionen Wenn Ausstellungen abgesagt,
Sammlungen umgehängt und Künstler:
innen mit kritischen Vergangenheiten ausoder
nicht ausgestellt werden, sollte dies nicht
zwangsläufig eine Entscheidung sein, die in
einem virtuellen, meist anonymen Shitstorm
gefällt wird oder hinter verschlossenen Türen,
präventiv aus Angst vor Kritik. Dann sollten
öffentliche Debatten stattfinden, dann sollte
Streit zur Aufklärung und zur Komplexität beitragen,
dann sollten sich unterschiedliche Perspektiven
auf Augenhöhe begegnen.
Wollen sich Kunstmuseen also politisch
und sozial positionieren, reicht die mediale,
bequeme und leicht umgesetzte Geste nicht aus,
dann kann sich ein gutes Gewissen nicht durch
ein Readymade aus einem griechischen Flüchtlingscamp
oder durch ein Reisevideo aus Somalia
erschlichen werden. Dann muss ein politisches
Interesse oder ein Engagement tiefer gehen,
die eigene Personalpolitik oder die Betriebskosten
des eigenen Hauses reflektiert werden, dann
müsste überdacht werden, wie man von der
bequemen Kunstblase heraus einen Weg in das
reale Geschehen finden kann.
Andererseits muss sich das Kunstmuseum
aber auch nicht nach jeder Forderung aus dem
Publikum richten, ja, es darf ruhig etwas wagen,
darf auch Kritik provozieren und seinen Besucher:
innen etwas zumuten. Die Frage, ob man
sich nach den Bedürfnissen des Publikums oder
der Kunst richtet, muss also nicht schnell und
nicht final beantwortet werden. Sie kann offenbleiben,
sie kann ein begleitendes Zeichen unserer
Zeit sein, sie kann immer wieder von Neuem
diskutiert und unterschiedlich angegangen
werden. Der Mut zur öffentlichen Debatte und
zum Streitgespräch ist wichtiger und langfristig
gesünder, als ein voreiliges Schwarz-Weiß-
Denken oder als ein heuchlerisches Als-Ob.
2.
Hauptprogramme müssen Jahre im Voraus
geplant werden mit einem enormen organisatorischen
Aufwand. Ein spontanes Reagieren auf
das Zeitgeschehen und aktuelle Bewegungen
oder mutige, jüngere Experimente haben deshalb
meistens keinen Platz an etablierten Orten.
Galerien wie Eigen + Art oder Ruttkowski;68 und
einige mehr bieten deshalb zusätzliche, experimentelle
Ausstellungsräume an, und auch große
Theaterhäuser wie das Deutsche Theater bespielen

kleinere Aufführungsbühnen, wie die „Box“, für
die eine Garderobe umgebaut wurde. Somit
können jüngere Positionen gefördert, das Nachwuchspublikum
angesprochen und Entwicklungsprozesse
sowie neue Tendenzen ausgetestet
werden. Im Theaterbereich ist es viel geläufiger,
dass Nebenräume mit kleineren Stücken und
Aufwand Teil der Bespielung sind.
So wäre es auch für Kunstmuseen ein Gewinn,
wenn sie kleinere Räume aus dem Hauptprogramm
auskoppeln. Hier können schneller
wechselnde, spontanere Projekte und Ausstellungen
stattfinden, die noch jüngere oder noch
nicht museumsetablierte Künstler:innen, Kollektive,
Bewegungen, Subkulturen und interdisziplinäre
Teams aus den unterschiedlichsten
Kunstfeldern präsentieren. Durch wechselnde
Gastkurator:innen, Themen, Kunstgattungen
und Medien könnten monatlich neue spannende
Experimente realisiert werden, zwar mit sehr
viel weniger Budget und Aufwand, aber dafür
auch mit weniger Vorlaufzeit und mit mehr Freiheiten.
Denn der Mut zum Scheitern und der Mut
zur Innovation sind zwei Seiten der derselben
Medaille. Vielleicht wird nicht jede Position, die
hier ausstellt, in die Museumssammlung eingehen
und sich nachhaltig etablieren. Doch darum
soll es in diesen Räumen primär nicht gehen.
Sondern um das Experimentieren, Spielen, Provozieren,
Andersmachen, Aufbauen, Dekonstruieren,
eben als Trainingslager eines diversen
Nachwuchskaders. Doch nicht nur Künstler:innen,
auch Kurator:innen und Pädagog:innen
könnten hier den Test von unterschiedlichsten
Ausstellungsformen und Vermittlungsprogrammen
wagen. Der Eintritt wäre ebenfalls sehr viel
günstiger, angepasst an eine Do-it-yourself-
Atmosphäre als Labor für Visionen, Ideen und
Produktionen, auch für ein möglichst unterschiedliches
Publikum, das nicht zwangsläufig zu
den regelmäßigen Museumsgänger:innen zählt.
Beide Punkte haben eins gemeinsam: Durch
sie können Kunstmuseen lebendigere und vitalere
Orte werden, an die sich (neue) Besucher:innen
wieder stärker binden können. Durch eine
größere politische Tiefe, durch mehr Mut zur
Debatte oder durch eine größere Beweglichkeit
im aktuellen Zeitgeschehen entstehen aktive
Orte, an denen sich Beständigkeit und Wandel,
Vertrautes und Neues gegenseitig motivieren.
Dabei sollte und darf gestritten werden. Fragen
müssen gestellt werden – dass sie nicht pauschal
immer sofort und einfach beantwortet werden
können, ist kein leichter Mittelweg, sondern ein
nuanciertes Grau-Denken – in Wirklichkeit die
schwierigste Haltung von allen.“