Vortrag „Tollste Kunst – Kunst spielen“

Hochschule Pforzheim / Leitung: Robert Eikmeyer /

Sehr glücklich war ich über die Einladung zu dieser Konferenz, da das Thema Spielen, ganz besonders das kindliche Spielen mich schon seit vielen Jahren begleitet. Meine Doktorarbeit Tollste Kunst Kindliche Ästhetik in der zeitgenössischen Kunst befasste sich mit kindlichen Zeichen- und Malstilen sowie mit kindlichen Künstlerinszenierungen. Ein paar Jahre später brachte ich den Themenband Kunst gleich Spiel bei Kunstforum International heraus. Hier stand ein sehr persönliches Gespräch mit Jonathan Meese im Fokus, ebenfalls die kindlichen Stile aber auch sehr viel mehr die Installationen und Ausstellungskonzepte im White Cube.

Mein Vortrag basiert auf beiden Arbeiten, wir beginnen mit dem Phänomen der Kindheit für die Erwachsenenwelt und sehen uns viele verschiedene Positionen in der Kunst an.

Ich möchte meinen Vortrag Tollste Kunst – Kunst spielen mit zwei Thesen beginnen:

Der Erwachsene ist ein besseres Kind.

Die Kunst ist die bessere Kindheit.

Es handelt sich hier um zwei Thesen, die einerseits provokant, andererseits illusionistisch klingen. Provokant deswegen, da der Leser meinen könnte, die bildende Kunst werde naiv als profanes, therapeutisches Mittel zur Bewältigung psychischer Kindheitserlebnisse angesehen.

Illusionistisch klingt es in Bezug auf die Kunst, weil das Bild eines unschuldigen Kunstortes, fernab von Märkten und Wirtschaftsfaktoren, gemeint sein könnte. In Bezug auf den Erwachsenen könnte es als eine kinderfeindliche oder kulturkritische Utopie ausgelegt werden. Doch nichts von alldem ist gemeint.

Die beiden Thesen begrenzen die Kunst weder auf einen realen, pädagogischen Heilungsort, noch soll ein frommer Kunstglaube reaktiviert werden. Sie sagen wortwörtlich nicht die Wahrheit, sondern beschreiben gesellschaftliche und kulturelle Konstrukte unserer Zeit.

(…)

Jemand, der für seine scheinbaren Kinderzimmer bekannt ist, ist Charlemagne Palestine.

Es sind zuerst immer die Plüschtiere, die auf einen zukommen. Als Horde, als Masse und als Einzelschicksale. Sie sind die Weggefährten aus unserer Kindheit, die Vertrauten, die Geliebten, aber auch die Bestraften, wenn die Emotionen mit uns durchgingen. Bei Charlemagne Palestine sind sie Material, Publikum und Wesen zugleich. Beobachten sie den Betrachter oder ist es andersherum? Auf jeden Fall waren sie zuerst da, sie scheinen ein Volk zu bilden, der Betrachter ist nur der fremde Eindringling. Sie hören aber auch zu, zum Beispiel wenn der Künstler auf einer Kirchenorgel spielt. Die großen Rauminstallationen scheinen wahrgewordene Kinderträume zu sein, die Utopie des Kinderzimmers. Oder etwa doch nicht? An Charlemagne Palestines Orten herrscht Freude, aber je länger man sich in seinen Zimmern aufhält, entdeckt man auch die Trauer, die Melancholie. Palestine bezeichnet die Stofftiere als „Devinities“ (Gottheiten). Sollen hier spirituelle Kräfte empfangen werden? In der Ausstellung Dream Baby Dream, platzierte er Stofftiere auf kleinen Kohlehaufen. Das Sterben ist jetzt der stärkste Gedanke. Feuerstellen erscheinen auf den installierten Monitoren. Man hört leise singende Kinderstimmen. Das Unheimliche ist anwesend. Tod und Qual erscheinen durch die Gottheiten. Die Situation vor den Monitoren lässt einen gebannt dort verharren, man will die Gänsehaut und zeitgleich das Unschuldige ertragen. Der Gesang beruhigt, ist „schön“, aber doch schmerzlich. An anderen Stellen entdeckt man einen Pink Panther, dessen Fell dunkle Schmutzflecken hat. Er wurde am Kopf aufgehangen, über seine Augen hängen Stofffetzen von oben herab. Er wirkt, als hätte er schon viel ertragen müssen. Trotzdem ist er immer noch da.

In der Mitte des Raumes thronen mehrere Totems, bestehend aus Bärenmonstern mit mehreren Köpfen. Zombies, Mutationen, Gefahr? Werden sie einen in den Arm nehmen oder zerfleischen? Sie wirken still und verwachsen. Auch sie sind anwesend und zeigen, was mit ihnen passiert ist, ohne dass wir wissen, was dies ist. Charlemagne Palestines Märchenwelten sind Glück und Schauer zu gleich, man kann sich nie sicher sein, und fühlt sich doch so vertraut in ihnen.

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