Das letzte Tabu – Mutterschaft in der Kunst

Die Zeit / Artikel /

„Alle sollen leben, wie sie wollen, das ist das Mantra des Kunstbetriebs. Nur vor einem werden schon die Studentinnen gewarnt: vor einer Schwangerschaft. Warum es Mütter in der Kunst besonders schwer haben.“

Auszug:

„Natürlich haben es Mütter auf vielen beruflichen Feldern schwerer als Männer. Die Kunst aber wird nach wie vor von vielen mystischen Ideen bestimmt, von einem Glaubenssystem, das dem katholischen Zölibat durchaus nahekommt. Wie ein Pfarrer, der sich ausschließlich seiner Aufgabe als Diener Gottes hinzugeben habe, sollen es auch die Künstlerinnen und Künstler halten. Denn nur so, diesem Einhundertprozent-Prinzip folgend, werde die nötige Qualität eines Werks ermöglicht. Sollte sich hingegen eine Künstlerin zur Mutterschaft entschließen, würde das Kunstwerk entweiht. Die kunstreligiöse Aura werde befleckt, sobald die Künstlerin ihre Milchpumpe heraushole.

Hinzu kommt, dass viele Sammler und Betrachter im Künstler ein Vorbild erblicken wollen, eine Figur, zu der sie aufschauen. Schon deshalb bevorzugen sie Abenteurer, Aufklärer, Revolutionäre oder sensible Freigeister, die ein anderes, ein weltfernes Leben führen, jenseits all der üblichen Familienplagen. So sind auch nicht zufällig jene Frauen berühmt geworden, die sich solchen Alltäglichkeiten entziehen und eher männlich konnotierte Eigenschaften verkörpern. Sich mit Müttern zu identifizieren scheint hingegen wenig attraktiv zu sein. Wenn überhaupt, dann sollen Mütter beruhigen oder, wollen sie Karriere machen, das Muttersein ganz im Privaten belassen.

Die Kunstwelt hatte noch nie ein Problem mit Drogen, Depressionen oder Psychosen. Einem alkoholabhängigen Mann traut man in der Kunst immer noch mehr zu als einer gesunden Frau mit Kind. So können sich Männer anders als Frauen auch sorglos zur kindlichen Inspiration bekennen. Ganze Kunstrichtungen wurden so beeinflusst, wie beispielsweise Dadaismus, Fluxus und die Gattung des Happenings. Väter wie Ólafur Elíasson machen aus der künstlerischen Auseinandersetzung mit ihren Kindern kein Geheimnis, und Raymond Pettibon hängt in seinen Einzelausstellungen gerne Kinderzeichnungen auf. Mütter hingegen werden oft auf ihr Muttersein reduziert.“

ganzer Artikel: https://www.zeit.de/2022/19/kuenstlerinnen-kind-muetter-frauen