Galerie Gebr. Lehmann / Katalog Transformers /
Die Sicht aus dem Flugzeug auf die darunter liegenden Wolken ist immer wieder befriedigend. Surreal einzigartig. Eine weiche Landschaft ganz in Weiß aus Sahne, Schaum und Creme in allen möglichen Rundungen, Anhäufungen, Hügeln, Bergen und Weiten.
Stephanie Lüning schafft solche Landschaften auf der Erde, meistens an von Menschen bebauten Orten, wie Parkanlagen, Ausstellungsräumen, Gewächshäusern, öffentlichen Plätzen oder Gebäuden. Die Wolken sind Schaum, gefärbt und technisch hergestellt. Es sind typische Zuckerwattefarben. Pastellig, märchenhaft. Sie lassen an Waldmeister denken, Erdbeere, Vanille oder Blaubeere. In ihrer Süße entfalten sie eine Kraft der Überschwemmung, nicht aufzuhalten, überlaufen sie den Ort und besetzen ihn. Orte, die der Mensch mit seiner Bebauung für sich beanspruchen wollte.
Die Schaummaschinen bringen das Oben, die Wolkenwelt, nach unten. Sie dehnen sich aus und verändern den Ort essentiell. Zu gebrauchen ist er dann nicht mehr. Auffallend ist, dass Lüning sich hierfür keine Naturlandschaften aussucht. Keine Berge, Wüsten oder Wälder. Es geht ihr nicht darum, die Natur zu übertrumpfen oder sich ihrer Erhabenheit und ihrer ästhetischen Erscheinungen zu bedienen. Die Schaumaktionen stellen sich hingegen den bebauten Orten und ihrem Gebrauch in den Weg. Funktionen werden ausgehebelt, die Orte verlieren ihre Daseinsberechtigung. Doch es entstehen neue Bedürfnisse, ausgelöst durch Lünings Interventionen. Es sind Bedürfnisse der lustvollen, haptischen und sinnlichen Befriedigung. Die Betrachter interagieren mit dem Schaum, müssen ihn anfassen, ihn beobachten, ihn erleben. Die Wellen überschwemmen den Platz, eine Flut, apokalyptisch. Wären da nicht die süßen Farben. In anderen Aktionen wirkt der Schaum gefährlicher, giftig, organisch, alienhaft. Zurück bleibt eine Art von Tatort, etwas Unheimliches ist geschehen, doch weiß man es nicht recht zuzuordnen. Hinterlassenschaften einer außerirdischen Geheimparty? Oder waren es nur Dreharbeiten zu Stranger Things? Trotz aller Unheimlichkeit wirken Lünings Schaumheimsuchungen nie wirklich böse. Es sind Naturgewalten, neue, farbliche Naturgewalten, jedoch stecken keine Dämonen dahinter, keine Bestrafungen, keine tatsächliche Zerstörung.
Die Malerei ohne Pinsel, durch Schaum, Mischmaschinen und Mischpult ist in Wirklichkeit eine räumliche Malerei oder besser gesagt eine installative Malerei. Alternativ lässt sich auch der Begriff ‚malerische Bildhauerei‘ anführen. Überflutungen, die erfreulicherweise einmal keine Katastrophen darstellen, sondern Wunderländer und Kindheitsträume. Hieraus entsteht die bereits angesprochene Befriedigung. Es handelt sich nicht um eine sexuelle, um eine sensuelle Befriedigung schon, aber nicht nur. Es entsteht ebenfalls eine schelmische Freude über den gelungenen Streich, die erfolgreiche Realisierung der eigenmächtigen Fantasie. Es ist ein Weltverändern, auch wenn die Vorzeichen nur auf eine temporäre Veränderung deuten. Das Gewächshaus wird unbrauchbar, der Salat muss nicht mehr gegessen werden, in die Parkflächen kann kein Auto fahren, den Platz muss man umgehen, Kleidung und Schuhe können Flecken bekommen. Die Schule bleibt auf jeden Fall geschlossen. Dafür darf man staunen, anpacken, spielen. Befriedigt wird das innere Kind, aber auch der Farbdurstige, der Gierige, der berühren will, der die Lust auf eine anschwellende Masse verspürt.
Es handelt sich bei Lünings Arbeiten um installative Malerei, ohne Pinsel oder anderes, klassisches Werkzeug. Schaum oder Eiswürfel – stets wird ein Teil der Kontrolle abgegeben, ein anderer behalten. Das Installative deutet gleichzeitig auf das Prozesshafte hin, denn nie ist einzig die finale Arbeit das fertige Werk, immer auch seine Entstehung. Dabei geht es um Sinnlichkeit und Befriedigung, nicht wie bei den Actionpaintern für die Künstler selbst, sondern bei Lünings Position vor allem für die Betrachter und Beiwohner.