Kunstforum International / Das Ende/
Im art art Museum findet statt, was von anderen Institutionen und Künstlern kaum genehmigt würde. Alles wird möglich: Wunschleihgaben, schonungslose Hängungen, fragwürdige Experimente. Die Künstlerin und art-art-Direktorin Larissa Kikol diskutiert jede Ausstellung mit einem speziellen Gast.
Folge 3:
Das Ende
Gast: Ein Geistlicher
Das art art Museum ist geschlossen. Die Museumsdirektorin sitzt mit einem Geistlichen in ihrem Büro.
Museumsdirektorin: Bald ist es vorbei.
Geistlicher: Das Leben?
M: Die Kunst.
G: Das kann man nie wissen.
M: In der obersten Etage wird ein Herz transplantiert. Das Museum ist geschlossen. Wir erleben eine Herztransplantation. Danach ist es vorbei mit der Kunst. Nichts kann dieses Ereignis übertrumpfen. Eine Tat, die in der Kunst keine Steigerung findet. Danach kommt nichts mehr. Eine Operation wie diese, in einem Kunstmuseum, bedeutet zwangsläufig das Ende der Kunst. Welcher Künstler könnte hier noch ausstellen? Keiner mehr.
G: Ist das nicht etwas unfair? Also den Künstlern gegenüber?
M: Die Wahrheit kann unfair sein, aber dadurch wird sie nicht weniger wahr. Das Ende der Kunst beginnt in diesem Augenblick. Mit jedem Schritt der Operation rückt sie näher. Nach den Fäden, dem letzten Knoten, wird niemand mehr Kunst machen.
G: Nur die Natur und die Tiere können keine Kunst machen. Der Mensch muss sich mit diesem Laster herumplagen.
M: Nicht mehr. Schlägt das neue Herz, hört die Kunst auf.
G: Warum soll die Kunst aufhören? Und das in einem Kunstmuseum?
M: Wir wussten es alle seit langem. Wir drehten uns im Kreis, aber machten uns immer wieder Hoffnung. Wir glaubten an die tausend Auferstehungen der Malerei, an die Ausweitung der Skulptur in den Schmerz oder ins Spazierengehen, wir akzeptierten Sozialarbeit als Kunst, einen Strich, Nichts, eine Tasse Blut und NFTs. Wir wussten alle, dass wir den Tod nur herauszögerten. Jetzt wird er kommen, danach können wir alle wieder aufatmen.
G: Sie sind mir zu dramatisch. Melodramatisch ist das schon. Gott sieht das nicht gerne.
Aber Body Art hat er schon gesehen. Und Performances. Dennis Oppenheim wetzte sich einen Zehennagel ab, Gina Pane schnitt sich mit einer Rasierklinge, Marina Abramovic entwickelte immer neue Methoden der Selbstquälerei und Chris Burden ließ sich in den Oberarm schießen und versuchte Wasser zu atmen bis er zusammenbrach. Wolfgang Flatz ließ eine tote Kuh aus einem Hubschrauber 40 Meter tief in den Berliner Prenzlauer Berg fallen.
M: Was Sie alles wissen!
G: Wenn der Körper längst Objekt, Material, bildhauerischer Formprozess und Projektionsfläche ist, dann ist eine Operation doch nur ein weiterer Schritt.
M: Das kommt Ihnen natürlich gelegen. Der Körper wurde ja auch ans Kreuz genagelt. Die erste Body Art der katholischen Schriften. Chris Burden ließ sich übrigens auf ein Auto nageln. Aber das alles ist eben nicht dasselbe. Es ist genau das Gegenteil. Bei all diesen Aufführungen ging es doch darum, dass man daran glauben musste. Der Betrachter, der Geschichtsschreiber, der Kritiker, der Künstler, der Andächtige, alle glaubten daran. Sie glaubten an Sinn, sie glaubten an Mehr. Bei unserer Transplantation ist es anders. Niemand muss daran glauben. Ihr Wesen hängt nicht vom Glauben ab.
G: Lassen Sie den Menschen doch ihren Glauben, Ihre Kunst. Die Transplantation verliert auch ohne ein Ende der Kunst nicht an Eleganz.
M: Eleganz. Sie sagen es. Nichts ist eleganter wie eine erfolgreiche Operation. Danach beginnt eine kunstfreie Epoche. So wurde es abgesprochen. Mit dem Operateur und dem Patienten.
G: Selbst wenn sich alle Künstler daranhielten, selbst wenn sie wirklich keine Kunst mehr ausüben würden.
M: So wird es sein.
G: Arbeitslosigkeit und Nichtstun wurde bereits zur Kunst erklärt.
M: Aber nicht auf Dauer. Nichtstun ist nur Kunst, wenn es einen Anfang und ein Ende hat.
G: Den Kirchen würde es ja guttun. Sie haben der Kunst viel abgegeben, manche sagen zu viel. Man muss heute kein guter Mensch mehr sein, es reicht die richtige Kunst zu machen. Politische, ethische, soziale Kunst, ein Readymade reicht. Ich sah Künstler, die sammelten in Griechenland Zahnbürsten von Flüchtlingen ein, um sie später in Kassel auszustellen. Die Kunst wurde längst zum Ablassbrief.
M: Das politische Readymade, das Flüchtlings-Readymade ist die Discounterversion des Ablassbriefes. Schnell und dreckig.
G: Die Kunst ersetzt den Menschen und seine Tugenden.
M: Sehen Sie. Ein Ende der Kunst kommt allen zu Gute.
G: Der Mensch könnte nicht mehr alles auf die Kunst schieben. Er müsste sich selbst wieder anstrengen.
M: Heute sollen die Werke ethisch gut sein, nicht mehr der Mensch. Daran ist auch die Kirche schuld, sie hat die Weichen dafür gestellt. Sie hat den Glauben erlaubt.
G: Gewiss.
M: In der Natur gibt es also keine Kunst?!
G: Die Operation geschieht, aber die Kunst geht weiter. Leider. Macht keiner mehr Kunst, wird alles zur Kunst. Das ist ja das tragische.
M: Also sollte man besser Malen und Kunst machen, damit es mit der Kunst nicht noch mehr wird? Damit es nicht zu viel von ihr gibt?
G: Ja. Es ist das kleinere Übel.
M: Da kann ich nicht zustimmen. Wenn alles zur Kunst wird, dann gibt es keine Kunst mehr.
G: So verhält es sich aber nicht, wenn Gott überall ist, heißt es nicht, dass es keinen Gott mehr gibt.
M: Sie vergleichen Äpfel mit Birnen.
G: Wenn die Kunst überall ist, wird es noch mehr erfolgreiche und noch mehr nicht erfolgreiche Kunst geben. Aber aus diesem Hamsterrad kommt der Mensch nicht heraus. Nicht in seinem irdischen Leben.
M: Nach dem Tod schon?
G: Ja.
M: Mh. Im Himmel und im Fegefeuer gibt es keine Kunst?
G: Nein.
M: Mh.
G schweigt.
M: Warum gibt es die Kunst?
G: Warum gibt es Kirchen?
M: Weil dort Gott wohnen soll?
G: Gott wohnt überall.
M: Der Mensch denkt, dass die Kirche Sinn macht, dass sie ihm hilft. Schimpansen brauchen keine Kirche.
G: Für den Menschen macht auch die Kunst Sinn, gerade dann, wenn er ihre Sinnlosigkeit bewundert. Kunst produziert Glauben. Und Glauben produziert Kunst.
M: Eben.
G: Nur für den Menschen existiert sinnvolle Kunst und die sinnlose Kunst ist für ihn umso sinnvoller. Es ist wie mit den Kirchen.
M: Sie sind wohl doch kein Fan der Kirche.
G: Nein.
M: Von Gott aber schon?
G: Ja.
M: Und von Christian Barnard?
G: Von dem auch.
M: Der erste Chirurg, der erfolgreich eine Herztransplantation durchführte. Einer der weltweit besten Chirurgen in der gesamten Geschichte. Dürfen sie neben Gott auch ihn bewundern?
G: Sicherlich. Ich darf sogar aus seinen Schriften vorlesen: „Sie war übersäht von infizierten Blutgerinnseln, und der Nahtring hatte sich teilweise schon von der Aorta abgelöst. Wir entfernten die Klappe, die Nähte und soviel von dem infizierten Gewebe wie möglich, so daß ein großes Loch zwischen der Aorta und dem linken Ventrikel klaffte. Ich verschloß diese Öffnung mit einem der Segel der Mitralklappe. Anschließend vernähte ich das Loch in dieser Klappe, so daß kein Blut in die linke untere Kammer fließen konnte. Da diese Kammer nicht in den Kreislauf einbezogen sein würde, schnitt ich einen Großteil ihres Muskels heraus und vernähte die große Wunde im Herzen sorgfältig. Nach dem Erwärmen und nachdem wir die Aortenklemme entfernt hatten, übernahm das Herz sofort seine Funktion.“[i]
M: Wunderschön. Elegante Poesie. Eine Predigt. Ein finales Manifest. Was soll die Kunst schon darauf antworten? Wenn sie wirklich ehrlich wäre?
G: Sie kann darauf nichts antworten. Aber geht es darum? Man darf ihr nicht zu viel Verantwortung zu sprechen. Es genügt doch, sie so zu nehmen, wie sie ist. Eben niedriger gestellt. Mit weniger Potential.
M: Ach. Sie geben es also zu.
G: Natürlich.
M: Das wurde doch immer wieder versucht. Und immer wieder kam der Kunstglaube zurück. Es wird Zeit es wirklich zu beenden. Die Kunst kann aufhören, wenn man sich von ihr nichts mehr verspricht. Kein Reichtum, kein Output, keine Kreativität, keine Selbsthilfe. Wenn man von ihr nichts mehr erwartet, dann macht sie auch keiner mehr. Sie darf nichts mehr darstellen. Keinen Selbstausdruck, keine Suche, keine Erkenntnis, keinen Prozess. Wenn der Hobbymaler sich damit nichts Gutes mehr tun will, wenn der Berufskünstler damit nichts mehr in die Welt setzt, weder Inhalt noch Form, weder Idee noch Gefühl. Und erst recht kein Wertobjekt.
G: Kann die Kunst alle Bedeutung verlieren?
M: Sie kann verschwinden, so wie sie auch eines Tages gekommen ist.
Eine OP-Schwester erscheint mit blutigen OP-Handschuhen.
S: Das neue Herz schlägt.
M und G: Bravo!
M: Sagen Sie, brauchen Sie Kunst?
S: Nein. Warum?
M: Weil sie hier und heute beendet wird.
S: Das ist schade. Es gibt ja Menschen, die durchaus… Ist sie nicht gut fürs Wochenende?
M: Ja das ist sie. Aber seien wir doch ehrlich, was erschaffen ihre Anhänger schon neben Timbaland, Shonda Rhimes oder Muhammad Ali?
G: Warum hat die Kunst dann nicht schon 1967 aufgehört? Nach der ersten Herztransplantation?
M: Das hätte sie tun sollen. Aber die Menschen können einfach nicht so schnell so große Zusammenhänge erkennen. Zwischen dem, was in einem Krankenhaus in Südafrika passiert ist und ihren Ateliers und Museen. Da muss die Chirurgie erst in ein Kunstmuseum kommen, damit es deutlich wird.
S: Also wir operieren lieber in einem Krankenhaus. Hätte der Patient nicht darauf… Ich muss wieder zurück in den OP.
G: Worauf?
M: Ich habe dem Patienten viel Geld gezahlt, damit er darauf besteht die Operation hier her verlegen zu lassen. Außerdem habe ich ihm versprochen, dass sie zur Kunst erklärt wird, also seine Transplantation. Ich habe ihm mein Wort gegeben, dass er Kunstgeschichte schreiben wird.
G: Sie wollen also die Kunst mit Hilfe der Kunst beenden?
M: Ja. Und mit Geld. Ich bin da ganz ehrlich.
G: Es wird trotzdem schwierig das Ende der Kunst durchzusetzen. Dafür müssten sie viel in die Pressearbeit investieren. Es wäre einfacher, wenn sie ab jetzt die Kunst nur noch spielen würden. In Wirklichkeit gäbe es sie nicht mehr, sie würden nur noch so tun mit ihrem Museum, die Nicht-Kunst spielt Kunst.
M: Ich weiß nicht.
G: Es gibt auf der ganzen Welt keine einzige klare Definition von dem was Kunst ist oder nicht. Es gibt keine Definition, die jeder Kultur, jeder Epoche und jedem Zeitgeist standhielte. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wo die Kunst aufhört oder anfängt. Da sind wir mit Gott schon weiter, wir haben mehr Klarheit über Gott als über die Kunst. Eigentlich wird Kunst seit je her nur gespielt.
M: Und die Spielregeln ändern sich in jeder Kultur, in jeder Zeit.
G: Eben.
M: Aber einfach weiterspielen kann doch auch nicht die Lösung sein.
G: Solange im OP nicht gespielt wird.
M: Es ist ehrlicher zu sagen, dass die Kunst vorbei ist, als die Kunst einfach zu spielen.
G: Ist die Ehrlichkeit der Kunst nicht ihr Spiel?
Die OP-Schwester erscheint wieder.
S: Der Patient ist aufgewacht. Es geht ihm gut. Ich soll Ihnen ausrichten, dass er sich umentschieden hat. Er will doch keine Kunst mehr sein. Das Herz reiche ihm völlig.
M: Und die Kunstgeschichte? Will er keine mehr schreiben?
S: Nein. Er sagt, dass er nicht mehr an die Kunstgeschichte glaube.
M: Das tue ich auch nicht. Aber darum geht es doch.
S: Jede Geschichtsschreibung sei subjektiv, sagt er.
M: Eben.
S: Aber er will keine subjektive Kunst oder Geschichte sein.
M: Das kann er nicht alleine bestimmen. Es ist mein Museum, wenn ich sage, dass er und die Operation Kunst sind, dann sind sie Kunst.
S: Ich muss Sie enttäuschen, aber da hat er das letzte Wort. Er war Kunst, und als Kunst, kann er sagen, dass er jetzt keine Kunst mehr ist.
M. Warum? Warum sollte er das sagen? Dann sage ich, dass die Verneinung zum Kunst-Sein dazugehört.
S: Dann steht Aussage gegen Aussage.
G: Das reicht nicht für ein Ende der Kunst. Da öffnet sich der Diskurs, da geht die Kunst weiter. Das ist Theologie. Oder eben Kunstwissenschaft.
M: Unerhört!
G: Sie haben jetzt nur noch eine Möglichkeit, wenn Sie keine Kunst mehr machen wollen: Sie spielen Kunst.
Die OP-Schwester kehrt zum Patienten zurück. Die Museumsdirektorin geht verärgert ab und öffnet das art art Museum wieder.
[i] Christiaan Barnard, Das zweite Leben – Die Erinnerungen des weltberühmten Herzchirurgen, Wilhelm Heyne Verlag GmbH, München, 1996, S. 382