Leipziger Schule – Kritischer Realismus

Katalogbeitrag / Matthias Ludwig / Hirmer Verlag /

Auszug:

„Die Träume von Teenagern und jungen Erwachsenen gehören zu den intensivsten, die man in seinem Leben erfährt. Die Erinnerungen von Erwachsenen an ihre eigene Jugendlichkeit zählen ebenfalls dazu. Ob in der Populärkultur oder in der Klassikliteratur, ob in Beverly Hills 90210 oder in der Epoche der Stürmer und Dränger: Das Leben, die Gefühle und die Entdeckungen von Heranwachsenden tragen eine tiefe Faszination in sich und genügend Material für große Narrative in den heterogensten Formaten und unterschiedlichsten Epochen. So war es unverzichtbar, dass die Protagonisten der Sturm-und-Drang-Bewegung ihre eigene Jugendlichkeit in Szene setzten und das dort angelegte Gefühlsleben auch als eine Hauptquelle ihres Schaffens verstanden. Und nicht umsonst sind Brenda und Brandon Walsh sowie Kelly Taylor die wohl weltweitbekanntesten Teeangerfiguren der 90er Jahre und Vorbild für unzählige Adaptionen und Zuschauer.

Auch Matthias Ludwig hat sich dieser Lebensphase verschrieben. Vereinzelt erscheinen auch Kinder oder ältere Erwachsene. Doch die Wesen, die seine Welten zu größten Teilen bevölkern, kann der Betrachter in einem vagen Alter zwischen 15 und 25 Jahren identifizieren.

In dem Gemälde Unerwarteter Besuch (2011) versammeln sich fünf junge Mädchen um einen Tisch und spielen Karten. Das dargestellte Spiel kann jedoch auch nur eine Ausrede zum abendlichen Weggehen symbolisieren. Die Mädchen bilden einen vertrauten Club, eine geschlossene Tischgesellschaft, die sich völlig in ihre Welt vertieft. Bei aller Konzentration, haben sie den leicht verletzten Mann im Türbogen noch nicht entdeckt. Er wird als Spielverderber und Anti-Rezipient den Abend stören. Der unerwartete Besuch birgt sogleich die Gefahr das Gemälde mit gleichem Titel aufzulösen.  

Unklar ist, ob hier wirklich Karten gespielt wird. Da auf dem Tisch keine abgelegten Karten, also kein ganzes Kartenspiel zu sehen sind, weder andere Requisiten, wie Gläser oder etwas zu Essen, die einen Spieleabend begleiten würden, können sich die in der Hand gehaltenen Karten auch als Alibi entpuppen. Die ernsthafte Spielsituation kann auch für etwas weit tieferes stehen, nämlich ganz generell für Wettkämpfe oder Spiele unter Jugendlichen. Bei diesen wird neben der konkreten Tätigkeit und dem konkreten Vergleich auch immer eine Erforschung des Selbst und seiner Fähigkeiten sowie der Blick der anderen auf das eigene Ich ausgelotet. Auch das sind wichtige Bestandteile auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Ob die Mädchen hier wirklich nur das Kartenspiel verhandeln, oder sich den Kopf über ganz andere Themen ihres Lebens zerbrechen, bleibt folglich offen.“