Kunstforum International / Politik, Ethik, Kunst / Band 254
Politische Kunst kann nicht um ihrer selbst willen existieren, da ihr politisches Engagement nur in Abhängigkeit zum Rezipienten, zum Leben und durch das werkimmanente Kommunikationspotential zu Tage tritt. Oder, um es mit der umgekehrten Metapher von Théophile Gautier zu formulieren: Ein praktisches Gefäß muss in diesem Fall einer schönen Vase vorgezogen werden. Das „L’art pour l’art“-Konzept kritisierte schon Friedrich Nietzsche, der es mit „der Teufel hole die Moral“ übersetzte. […]
Demnach schlage ich vor, folgenden Aspekten einen hohen Stellenwert bei der Analyse von politisch gemeinten Kunstwerken einzuräumen: 1. Das strukturelle Wesen: Es zeichnet sich in der Beziehung von Form und Inhalt aus. Dieser Punkt wurde bereits erläutert, er befragt kritisch die Formsprache und ihre Fähigkeit, den Inhalt zu stützen und zu transportieren. Die Form kann auch im Gegensatz zum Inhalt stehen, wenn sie in diesem Wettbewerb letzten Endes unterliegt und so den Inhalt umso verstörender hervortreten lässt. 2. Die Werkrealität: In welchem Ausmaß wird das vom Künstler ausgewählte, politische Thema zur Verfügung gestellt? Bleibt es ein vager, abstrakter Begriff, oder wird ein Szenario ausformuliert? Hält die Werkrealität neue (wie emotionale, intellektuelle, kontextuelle, widersprüchliche, humoristische, wissenschaftliche) Aspekte bereit? In Folge unterscheidet sich die Werkrealität von einem bloßen Logo oder einem Ornament, das eine politische Idee symbolisiert oder illustriert. 3. Die imaginäre Dimensionalität: Die potentiellen Möglichkeiten eines intensiven Weiterspinnens der Werkrealität durch den Rezipienten. Werden Utopien, Dystopien, Nostalgien, Erkenntnisse oder Erinnerungen provoziert, in der sich der politische Wille der Arbeit ausdrückt? Schließlich geben alle Punkte Aufschluss über 4. die Kommunikationsqualitäten eines politischen Werkes. Hier entscheidet sich, ob ein politisch gemeintes Kunstwerk in Wahrheit für den Künstler selbst oder für möglichst viele Rezipienten kreiert wurde.
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Diese Aspekte erklären beispielsweise auch die Kunstwerksqualitäten der Aktion Bitte liebt Österreich von Christoph Schlingensief aus dem Jahr 2000: Schlingensief diente hier nicht als Markensymbol für ein gutes Gewissen. Er stellte sich ganz in den Dienst der Kunst, unterwarf sich dem politischen Willen seiner Arbeiten, was hieß, dass er auch selbst in die Rolle des Bösen, des Ekligen schlüpfen musste.
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