Graffiti. Ein diffuser Nebel in der Kunstwelt – Ansätze für einen differenzierten Umgang mit dem Autonomen

Kunstforum International, Band: Graffiti Now – Ästhetik des Illegalen

Auszug / Einleitung:

„Bisherige Umgangsschwächen mit dem Verbotenen. Oder: Was ist Graffiti?

Die Vermutung liegt im Raum, dass die Kunstwelt nicht genug über Graffiti weiß. Der Kunstweltvolksglaube assoziiert Graffiti zuerst mit Banksy, danach mit dekorativen Wandbildern, die Bürgerselbstbestimmung und die Aura einer bunten, politisch korrekten, kreativen Stadt vermitteln. An dritter Stelle erinnert Graffiti an pädagogische Interventionen in der Jugendarbeit. Der Nebel um die Graffiti-Bewegung und ihren gegenwärtigen Zustand ist so groß, dass der Berliner Sprayer Clint 176 sich zu dieser Aussage genötigt sah: „Graffiti hat sich entschlossen, sich nicht weiter zu den ge/versammelten Missverständnissen zu äußern.“[1]

Das vorherrschende Klischee einer Graffiti-Ästhetik, die Buchstaben betrifft, ist ein eckiges, kunterbuntes Tribal-Knäul aus verdrehten Buchstaben, Pfeilen und aufgesprühten Lichteffekten. Zwar sehen einige, meistens die konservativen, Graffitis so aus, doch kennt man diese Bilder ebenfalls von Schul-mäppchen, -ordnern und anderen Produkten der Warenwelt. Wird Graffiti von Ausstellungsinstitutionen aufgegriffen, dann vermischen einige ziemlich sorglos Street Art und Graffiti. Gezeigt wird oft Kitsch: 5 Meter hohe Mangafiguren mit Kulleraugen für den Weltfrieden oder angewandter Konstruktivismus zum Schön-Finden. Die Street-Art lebe „von der Aura und dem symbolischen Kapital der Straße“ und zeichne sich, nach dem deutsch-polnischen Autoren Josef Streichholz, durch ihr „eifersüchtiges, alternativloses Anwärterverhältnis zur richtigen Kunst und deren Institutionen“ aus.[2] So versperrt sie auch den Blick der Kunstwelt auf die Graffiti-Szene. Einher geht dies oft mit einer institutionellen Bevormundung: Man will sich offen zeigen für die Straßenkunst und senkt darum eigentliche Qualitätsmaßstäbe. Außerdem wird angenommen, dass die nicht-bildungsbürgerliche Bevölkerung hierauf positiv anspricht, weil ein handwerkliches Können und eine einfache Lesbarkeit im Vordergrund stehen.“

[1] Clint 176 in: Jo Preußler (Hrsg.), The Death Of Graffiti, Possible Books, Berlin, 2017, S. 341

[2] Josef Streichholz, Graffiti als schlauer Idiot. Zur Urszene der Kunstfrage und ihrer heutigen Relevanz, in: Jo Preußler (Hrsg.), The Death Of Graffiti, Possible Books, Berlin, 2017, S. 329