Kunstzeitung //
Ob ich die Bücher von Sloterdijk gelesen hätte. „Mh, ja, geht so“, antwortete ich. „Ein phantastischer Autor!“, schwärmte der Künstler. „Ja, ja, schon.“ Ich promovierte an der Hochschule, an der Peter Sloterdijk zu dieser Zeit Rektor war. Auf meiner Promotionsurkunde steht seine Unterschrift. Der Künstler, der Sloterdijk las, war ein 60jähriger Konzeptkünstler, der mich in sein Atelier einlud, um einen Text für ihn zu schreiben. Bei diesem Treffen lief vieles schief, obwohl alles doch eigentlich nett und der Kuchen gut war.
Wenn Künstler und Autoren sich kennen lernen, ist der Anfang oft angespannt. Zuerst tastet man sich verbal vor, redet über das Stadtviertel, den Atelierhund und stellt Kaffee oder Wein bereit. Hat man über den Hund geredet, geht es zur Kunst. Meistens stellt der Autor ein paar allgemeine Fragen. Der Künstler antwortet allgemein. Der Hund bellt. Soll es weitergehen, muss jemand das Risiko eingehen etwas Falsches zu sagen. Und zwar durch eine konkrete Aussage oder eine konkrete Assoziation, die zeigt in welcher Welt derjenige steht, was er sucht und was er will. Die Karten werden offengelegt, je früher, desto besser. Es geht um die Frage, was die jeweilige Kunst auslöst und ob man sich daraufhin intellektuell und emotional Näher kommt. Bei einem Besuch kochte die Künstlerin wirklich furchtbar. Einer holte seinen hofeigenen Schäfer dazu. Der andere zauberte und zeigte Schattenspiele. Plötzlich brannte es in seiner Hand und Gegenstände wechselten ihren Ort. Klare Masche, aber leider gut. Alle drei Besuche führten zu einer tieferen Ebene des Verstehens.
Drei Stunden unterhielt ich mich mit dem Konzeptkünstler. Es ging höflich zu. Doch zu viel Höflichkeit, schafft Distanz. Eine Künstlerin berichtete mir, dass sie sich mit einer Autorin direkt zu Anfang gestritten hatte. Danach entstand das beste Interview, was sie jemals gab. Kein Wunder. Durch den Streit wurde die Beziehung persönlich, man war sich nah. Ein überstandener Streit schafft eben auch Vertrauen. Für die Zusammenarbeit zwischen Künstler und Autor ist es unverzichtbar persönlich zu werden. Ehrlichkeit auf beiden Seiten, auch wenn es schwierig wird. Die Zeit der Zusammenarbeit ist intensiv, man ist (fast) rund um die Uhr für Ideen, Gedanken und Sorgen des anderen erreichbar. Für Höflichkeiten ist die Sache zu wichtig. Auseinandersetzungen können fruchtbar sein, solange man sich auf Augenhöhe begegnet, die Welt des anderen versteht und von ihr angezogen wird. Besser ein produktiver Streit als falsche Vorsicht, die in Enttäuschung endet.
Der Konzeptkünstler fragte mich an, weil er hörte, wo ich promoviert hatte. Er kannte keinen einzigen Text von mir. Ich stimmte einem Atelierbesuch zu, weil ich dachte, dass einige Werke für mich spannend wären. Tatsächlich wusste keiner, wofür der andere stand. Ich sah in keinem seiner Werke das, was er mir dazu erklärte. Und er erklärte viel. Er sah in keinem meiner Gedanken das, was er ausdrücken wollte. Man redete drei Stunden und hatte sich doch nichts zu sagen. Ich machte einen Witz. Er lachte nicht. Leider hatte er keinen Hund. Die Zusammenarbeit kam nicht zustande. Eigentlich hätte er gerne ein Buch mit Sloterdijk gemacht. Ich bin nicht Sloterdijk. Außerdem sehe ich ziemlich jung aus, wie er schon bei der Begrüßung enttäuscht feststellte.
Ein Missverständnis, das zwar selten, aber vorkommt: Autoren sind keine Dienstleister, die man nur mit einem großen Honorar zu ködern braucht. Ein junger Maler, dessen Werk ich sehr schätzte und der zudem von einer großen Galerie vertreten wurde, beauftragte mich mit einem Text. Schön. Dann wollte er, dass ich ihn mit Picasso verglich. Konnte ich nicht. Kunsthistorische Argumente müssten in diesem Fall zu weit hergeholt werden. Aufgebracht kündigte er die Zusammenarbeit. Auch das ist ein Problem. Manche Künstler hoffen in ihren jungen Jahren auf Totschlag-Referenzen, anstatt erst einmal bei sich und ihrer eigenen Welt anzufangen.
Eine Zusammenarbeit zwischen Künstler und Autor ist eine Kooperation zwischen zwei Selbstständigen, die sich auch genau so behandeln sollten, auch wenn der Kontostand beider ein anderer sein kann. Denn, ja: Meistens verdienen erfolgreiche Künstler mehr als erfolgreiche Autoren. Aber aus diesem Grund sollte keine Abhängigkeit erlebt oder ausgespielt werden. Ein Text ist eine eigenständige Arbeit. Autor und Künstler stehen nebeneinander, Schulter an Schulter, aber brennen für das gleiche Ziel.
Den Hauptgewinn ziehen beide Seiten, wenn sich eine Freundschaft und eine nachhaltige, berufliche Beziehung entwickelt, wenn beide die Arbeit des anderen weiterverfolgen und sogar weitere Projekte entstehen.
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