Sammlung Haus N // Hefte / Für die Ausgabe 47 zum Thema Frauen Männer Instagram schrieb ich das kurze Theaterstück „Black Hole Sun – Frauen und tote Frauen“.
Hier das Heft zum Download: http://www.sammlung-haus-n.de/pdf/heft_47.pdf
Auszug:
Mann D: „Werden Frauen mit kleinen Hunden deine Kinder schlagen?“
Mann A: Mary war eine Suchmaschine. Eine Ein-Frau-Suchmaschine für die große Maschine. Die große Maschine lief immer. Publizieren, Content, Gesichter, Körper für Produkte, weiße Zähne für die Werte. Bilder. Zu Beginn zeigte man Bilder. Danach bewies man mit Bildern. Zu Marys Kunden zählte die Geisteswissenschaft, die Life-Style-Magazine, die Modebranche, die Umweltorganisationen, die Politik, die Fernsehredaktionen und Fachjournale. Sie alle hatten Anfragen, sie alle wollen Bilder. Was sie brauchen sind aber keine Bilder, sondern Beweisbilder. Und zu dem ist jedes Bild geworden. Mary war eine Bildbeweissuchmaschine. Ihre Kernkompetenz: Frauen.
Frau B: Die Kunden wollten nicht selbst suchen, sie bezahlten dafür. Mary gab ihnen alles was sie wollten. Dafür mussten sie nur eine Frage stellen. „Sind Frauen wütende Aktivistinnen?“ „Wollen Frauen lieber attraktiv als klug wirken?“ „Zeigen Frauen sich emanzipiert?“ „Malen Künstlerinnen auch im Winter mit Hotpants, wenn sie alleine in ihrem Atelier sind?“ „Gehen Frauen humoristisch mit Nahaufnahmen ihrer Unterlippe um?“ „Unterstützen Frauen das traditionelle Familienbild mit Wasserflaschen von Evian?“ „Spiegeln sich auf Darstellungen von weiblichen Kniekehlen virtuell-feministische Haltungen wider?“ „Benutzen Frauen Nasenhaarschneider, deren Design man eindeutig dem Parteiprogramm der SPD zuordnen kann?“ Die Maschine der Sweet Dreams.
Mann D: „Sind sterilisierte Frauen umweltfreundlicher?“ „Sind sterilisierte Männer weißer?“
Frau B: „Sind Frauen emanzipierter, wenn sie Bio-Rinder schlachten?“
Mann D: „Sind Männer treuer, wenn sie keine Rinder schlachten?“
Frau C: Nach einer gestellten Frage sagte der Kunde, zum Beispiel ein Wissenschaftler, welche Antwort er gerne hätte: „Ja“ oder „Nein“. Mary suchte ihm dann die passenden Bilder, meistens Selbstgesichtsfotografien, aus der Maschine heraus. Für jede These, für jeden Trend, fand sie Bilder. In der Weite der Maschine, die keiner überblicken konnte, existierte jede Antwort in mehreren Ausführungen. Alles war existent. Und darum war der Existentialismus tot. Die Maschine kannte keinen Daseins-Schmerz. Jeder schaffte Beweise. Jeder war Wahrheit und darum war alles Wahrheit. Manchmal weinte Mary.
Mann A: Marys Zeit war auch die große Blütezeit der Wissenschaft – der Soziologie, der Psychologie, der Medientheorie, der Genderwissenschaft und der Ethnologie. Es war noch nie so einfach, die eigenen Annahmen bestätigen zu lassen. Es war noch nie so einfach, Thesen zu untermauern, Trends zu behaupten. Jede Aussage über die Welt traf zu. Jede Aussage über Frauen traf zu. Im Jahr 2023 wurden alleine an der Humboldt-Universität zu Berlin 453 Doktorarbeiten über die zeitgenössische Frau erfolgreich verteidigt.
Frau C: Auch Marys Bruder war eine Suchmaschine. Jede Aussage über Männer war wahr. Die Familienpolitik blieb chancengleich.
Frau E: Manchmal wollten Kunden Beweisfotos von Hausfrauen, Müttern und Konsumentinnen. Manchmal wollten sie Bilder von Prominenten, Schauspielerinnen, Musikerinnen, Politikerinnen oder Influencerinnen. Aber auch das war kein Problem. Weil es so viele von ihnen gab. Weil die vielen noch viel mehr posteten. Weil Mary alles fand. Weil jedes Foto verwendet werden durfte.
Mann I: Die Maschine besaß alle Rechte. „Produzieren Frauen mehr Milch, wenn sie kreativer backen?“
Mann D: Wenn Mary keine Lust am Suchen hatte, dann fragte sie Influencerinnen direkt. Einmal bekam sie die Anfrage: „Existiert aktuell der Trend, dass Frauen sich beim Schreien fotografieren? Ja.“ Der Kunde wollte etwas über feministische Frauen und Aktivismus schreiben. Dann bittet Mary drei oder vier Mädchen mit einigen Hunderttausend Followern, zwei Schrei-Selbstfotografien zu machen. Der Trend war da. Der Kunde glücklich. Und dann schrien immer mehr. Der nächste Kunde fragte, ob Frauen hysterisch sind. „Ja.“ Mary hatte gute Bilder. Wer Mary schrieb, der kaufte die Wahrheit bereits mit seiner Anfrage. Endlich wusste man alles über Frauen. Man hatte Beweise. Man wusste auch alles über Männer.
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