Das neue Surreale

Kunstforum International / Gegenwartsbefreiung Malerei / Essay

Einleitung:

„Im 21. Jahrhundert sind neue, surrealistische Welten
geboren. Ein Rückgriff auf die Moderne sind sie
aber nicht. Es existieren auch kein gemeinsamer geografischer
Ursprung, kein grundlegendes Manifest
und keine kollektive Vereinbarung von bestimmten
Künstlern darüber. Der neue, total surrealistische
Zyklus entstand aus einem direkten Einfluss unserer
Zeit und das unabhängig voneinander und an
verschiedenen Orten. Mit dem Einfluss sind die
Gesellschaft und die mediale Bilderwelt genauso
gemeint wie Walt Disney. Der aktuelle Zeitgeist
forderte diese Malereisprache heraus und machte
sie für viele Künstler zur logischen Notwendigkeit.
Das heißt, dass der Surrealismus der Avantgarde
keine einmalige Entwicklung der Moderne war, die
sich nur dort ereignen konnte. Er ist nicht einmal
der erste Zyklus der Kunstgeschichte gewesen. Ein
vorheriges Auftauchen kann auch in einigen Werken
des Symbolismus und der allegorischen Malerei
ausgemacht werden, die Ende des 19. Jahrhunderts
das Surreale in einer oft dunklen Mystik fanden, wie
bei Arnold Böcklin (Die Pest, 1898), Ferdinand Hodler
(Die Nacht, 1889 – 1890), Fernand Khnopff (Kunst,
1896) oder bei Hugo Simberg (Im Garten des Todes,
1896). Eine künstlerische, surrealistische Bildsprache
ist somit nicht fest an die spezifischen Verhältnisse
der Avantgarde nach dem 1. Weltkrieg gekoppelt,
sondern sie stellt einen grundlegenden künstlerischen
Ansatz dar, der in Wahrheit nicht zeitgebunden
ist, sondern sich für konkrete Epochen in ein
passendes ästhetisches und inhaltliches Dispositiv
hüllt. Das Wesen jedes surrealistischen Zyklus verweist
somit auf eine übergeordnete surrealistische
Künstlersprache, die viel mehr zum Begriff ‚Kunst‘
und ‚Sprache‘ gehört, als speziell zur Moderne der
1920er Jahre.
EIN NEUER ANFANG
Hierzulande zählt Daniel Richter zu den wichtigen
Impulsgebern des neuen Zyklus. 1998 malte er noch
überwiegend abstrakt, er suchte das Ziel eines «zu
sich gekommenen Bildes, in dem alle Möglichkeiten
aufgerufen sind»¹. Dieses Ziel hat er anscheinend für
sich erreicht, oder ihm aber neue Vorzeichen gesetzt,
denn zur Jahrtausendwende, nur zwei Jahre später,
entstanden plötzlich ganz andere Bilder: figurativ
und surreal. „Seine Bilder scheinen damit das Ende
einer Epoche zu signalisieren: Jenes Ende des Leidens
am Scheitern der großen Systeme, der großen
Ideale“² hieß es im Ausstellungstext zu Die Frau;
Rock’n Roll; Tod – Nein Danke in der Contemporary
Fine Arts Galerie. Negativ- und Positivansichten ließen
die Gesichter wie verstrahlte Zombies erleuchten.
Orangene Nächte kamen auf, Schimpansen in
Spitzenröckchen entflohen. Weil Richter kein Körperfleisch
malen wollte³, schuf er als surreale Übersetzung
Geisterwesen in Infrarotlicht.“

Zum ganzen Essay: https://www.kunstforum.de/artikel/der-total-surrealistische-zyklus/