Edition Galerie Schwind / Leipzig, Berlin, Frankfurt /
Essay „Raupen und Zigaretten“
Auszüge:
„Die häusliche Kulisse ist ein weiteres Stilmerkmal von Ludwig. Nach Hans Belting verfügt ein Ort über „ein geschlossenes System von Zeichen, Handlungen und Bildern“, welche nur die Ortsansässigen dechiffrieren können. Sein Zeichensystem lässt sich ihn von anderen Orten und Räumen unterscheiden und als geschlossenes Kultursystem bestimmen. Dies trifft genau so auf urbane Straßen und ihre Graffitis zu, sowie auf private Innenräume. Viele Protagonisten Ludwigs halten sich in Innenräumen auf, das Wohnzimmer ist ein wiederkehrender Schauplatz. Würden die Schlafzimmer eine zu persönliche Narrative darstellen, entpuppt sich das Wohnzimmer als bevorzugte Mischung zwischen neutralem Terrain und häuslicher, privater Atmosphäre. Hier treffen die Figuren aufeinander und interagieren. In Deine seltsame Zukunft (2013/2014) wird einem Jungen aus der Hand gelesen. Die Szene spielt sich auf einem Sofa ab. Eine Katze, ein Goldfisch und ein gelber Wellensittich sind ebenfalls Zuschauer. Die Zukunft von letzteren beiden Tiere wird von der Laune der Katze abhängen. Der Junge muss sich stattdessen die Frage stellen, was eine „seltsame“ Zukunft bedeuten könnte. „Nicht rosig, aber auch nicht schwarz“, erklärt Matthias Ludwig. Dabei ist das Seltsame nicht negativ konnotiert, sondern meint die Lebensrealität, wie sie ist. Fragen nach der Zukunft sind bei Heranwachsenden meistens noch nicht mit zu vielen ernsthaften Sorgen verbunden, wie es bei Erwachsenen der Fall sein kann. Das Handlesen ermöglicht das spielerische Herantasten an mögliche Zukunftsmodelle und eine Projektionsfläche für die eigenen Wünsche ohne in politische, gesellschaftliche oder ökologische Krisendiskurse einsteigen zu müssen. Ein Stück Unschuld und Naivität wird bewahrt. „
„Die Träume von Teenagern und jungen Erwachsenen gehören zu den intensivsten, die man in seinem Leben erfährt. Die Erinnerungen von Erwachsenen an ihre eigene Jugendlichkeit zählen ebenfalls dazu. Ob in der Populärkultur oder in der Klassikliteratur, ob in Beverly Hills 90210 oder in der Epoche der Stürmer und Dränger: Das Leben, die Gefühle und die Entdeckungen von Heranwachsenden tragen eine tiefe Faszination in sich und genügend Material für große Narrative in den heterogensten Formaten und unterschiedlichsten Epochen. So war es unverzichtbar, dass die Protagonisten der Sturm-und-Drang-Bewegung ihre eigene Jugendlichkeit in Szene setzten und das dort angelegte Gefühlsleben auch als eine Hauptquelle ihres Schaffens verstanden. Und nicht umsonst sind Brenda und Brandon Walsh sowie Kelly Taylor die wohl weltweitbekanntesten Teeangerfiguren der 90er Jahre und Vorbild für unzählige Adaptionen und Zuschauer.“