Museum Kunstforum Wien – Tate Collection // Essay //
Für den neuen David Hockney Katalog schrieb ich den Essay
Die unangestrengte Hand
oder Das große Lockerlassen
„Der Abstand ist da. Mehr als 20 Jahre im 21. Jahrhundert lassen allmählich Charakteristika erkennen, und zwar von einer postmodernen Malerei des 20. Jahrhunderts oder, noch spezifischer, der 1960er- bis 1980er-Jahre, und von heute, einer Gegenwartsmalerei dieses Jahrhunderts. Im Nachhinein betrachtet blieben viele Künstlerinnen und Künstler ihrer Zeit verhaftet, was nicht die Qualität ihrer Arbeit mindert, aber ihnen tiefere Wurzeln in einem historisch enger gesteckten Kontext verleiht. Dagegen wirken Werke anderer Kunstschaffender heute noch so aktuell wie damals, vor allem ästhetisch und stilistisch tragen sie ein Vakuum an Frische in sich, das ohne Verluste über die weitere Malereientwicklung standhält. David Hockney zählt zu ihnen. Doch woran liegt das?
Dass Hockney in erster Linie in der Pop-Art verortet wird, ist nur eine Einstiegshilfe in sein Werk. Weitere Stileinflüsse lassen sich bei Jean Dubuffet und den Buchstabenbildern wie auch bei der Graffiti-Art-Brut finden, in der Neuen Figuration, in einem distanzierten Realismus, der von einer Edward-Hopper-Atmosphäre subtil ins Komische umschlägt, in der naiven Malerei, der gestisch-naturalistischen Darstellungsform, bei kindlichen Kritzelzeichen und in surrealen Tendenzen. Nachweise lassen sich dafür viele anführen. Die kindlichen Kritzeleien oder Smileys entdeckt man im Detail, zum Beispiel rieselt Hockney sie auf seinen iPad-Zeichnungen wie Puderzucker zwischen die Landschaft (S. XXX und S. XXX). Das Surreale drückt sich in knallig-chemischen Farben einiger Baumstämme, Häuser oder Hügel aus sowie in einer kubistisch getürmten Landschaftsbebauung oder in einer nach Belieben gebogenen, geglätteten oder aufgebrochenen Architektur. Naive Formsprachen wendet er mal bei Baumblättern, Straßen oder bergähnlichen Objekten an. Gestisch-naturalistisch entstehen andere Landschaftsgemälde mit vielen Ästen – oder auch Porträts.
Hockney lässt sich stilistisch nicht einfangen, er scheint es auch gar nicht zu wollen. Entscheidend ist, dass er diese verschiedenen Stile nicht bedient, sondern sich vielmehr ihrer bedient. Er nutzt sie je nach Laune und Motiv, spielt sie gegeneinander aus, manchmal sogar in ein und demselben Werk, und bleibt gegenüber jedweder Stilzuschreibung locker. Er scheint nichts er- oder ausfüllen zu wollen. Darin liegt das stilistisch Charakteristische begründet, das am besten alles zusammenfasst und seine Position beschreibt: das Lockerbleiben, das Spielende. (…)“