Politische Aktionen statt politische Kunst

Kunstzeitung /

Durch ihre politische Botschaft
sind sie berühmt geworden:
Kunstwerke wie „Das
Floß der Medusa“ (Théodore Géricault),
„Die Freiheit führt das Volk“
(Eugène Delacroix), „Guernica“ (Pablo
Picasso), „Onkel Rudi“ (Gerhard
Richter), der Siebdruck eines elektrischen
Stuhls (Andy Warhol), tanzende
Strichmännchen (Keith Haring),
ein Busen-Tapp-und-Tastkino (Valie
Export) oder das Selfie eines Stinkefingers
(Ai Weiwei). Das politische
Werk war lange ein großer Trumpf der
bildenden Kunst. Es bewies ihre Unabhängigkeit,
ihr Protest- und Aufklärungspotential,
ihren Freiheitswillen,
ihre tiefe Empathiefähigkeit und ihre
unsterbliche Repräsentationsmacht.
Manche Akteure gingen sogar soweit
und schrieben der Kunst, auch ohne
konkreten politischen Inhalt, einen
generellen politischen Charakter zu.
Die Debatte, ob alle Kunst politisch sei
oder nicht, zählt zu den großen und
nicht beendeten Theoriestreitigkeiten
des 20. Jahrhunderts.
In den letzten Jahren kam es wieder
zu einer neuen Produktionswelle an
konkret politischer Kunst, ausgelöst
durch aktuelle Geschehnisse wie die
Flüchtlingskrise, die Wahl von Donald
Trump, das Erstarken rechtspopulistischer
Parteien, das Klimaproblem, metoo oder die Black-Lives-Matter-

Bewegung. Auf Biennalen und der
documenta stauen sich so viele politische
Kunstwerke, dass man, deren
Glauben folgend, damit einen Teil der
Weltprobleme abgedeckt habe. Einige
davon tauchen im Folgejahr auf der
Art Basel wieder auf, spektakulär in
der „Unlimited“-Halle oder handlich
zum direkten Mitnehmen in den Galeriekojen.
Der Kunstmarkt und die
politischen Biennalen liegen nicht weit
voneinander entfernt.
Gleichzeitig passiert etwas Entgegengesetztes:
Die Masse der politischen
Kunstwerke führt zur Inflation,
mit der Folge, dass das Publikum abstumpft
oder das Werk höchstens noch
in einer kleinen Instagram-Zeitspanne
für Aufsehen sorgt. Auch dem kurz
schockierenden Flüchtlingsboot von
Christoph Büchel auf der Venedig-
Biennale, 2019, erging es nicht anders.
Ein paar Wochen später zirkulierten
bereits wieder andere Bilder von anderen
Werken von anderen Künstlern,
denn die meisten
politischen Kunstwerke
sind heute schnell und
leicht hergestellt. Egal,
eine Schwimmweste als
schnelles Readymade
oder ein ganzes Boot:
Solche Werke bergen
nur noch die Hoffnung
auf ein flüchtiges Hitpotential.
Sie gleichen vielmehr einem
Motto-T-Shirt einer Saisonkollektion,
auf dem schnell andere T-Shirts mit
weiteren Slogans folgen. Nachhaltig
berühmt wird solche Kunst höchstwahrscheinlich
nicht.

Statt auf Symbole und Veranschaulichungen
sollte der Fokus auf
den Handlungen liegen, also auf
Bewegungen, Initiativen, personelle
Umstrukturierungen
und praktische Veränderungen
mit konkreten
Konsequenzen. Statt comicartige
Pop Art über
den weiblichen Körper
und Machtmissbrauch
müssen angemessene
Konsequenzen auf
Fehlverhalten und strafrechtliche
Handlungen folgen – auch
in internen Lösungen. Statt einer im
blauen Neonlicht glitzernden Klimaausstellung,
wären Bienenvölker
auf dem Museumsdach origineller.
Statt einer Pflanzeninstallation über
den Kolonialismus oder eine surreale
Portraitcollage zur Black-Lives-Matter-
Bewegung braucht es Umstrukturierungen
in den Institutionen und
chancengleichere Zugänge zu Bildung
und Märkten. Statt dem 134. Readymade
aus einem Flüchtlingscamp sollte
man überlegen, was man konkret für
die Ukraine-Flüchtlinge tun könne.
Der Glaube an eine Rettung durch
ein „Oeuvre“ ist wohlwollend als naiv
zu bezeichnen. Es könnten aber auch
die simple Eigenvermarktung und die
bequeme Befriedigung des Gewissens
dahinterstecken. Das politische Kunstwerk
darf hiermit für überholt erklärt
werden, es passt nicht mehr in unsere
Zeit. Es gibt Anzeichen, die in gleiche
Richtung deuten: Die „Monopol“-
Redaktion wählte 2020 nicht einen
Künstler oder Kurator auf den ersten
Platz der mächtigsten Positionen der
Kunstwelt, sondern eine Bewegung –
die Black Lives Matter. 2018 besetzte metoo bereits den dritten Platz.

Die documenta wird dieses Jahr von und
mit Kollektiven bespielt, die wenig
klassische Kunstwerke präsentieren.
Institutionen, die sich dem Klimawandel
annehmen, denken zunehmend
über ihre eigene Klimabilanz und ihr
konkretes Handeln nach. So soll es
weitergehen. Mit „guter“ Kunst kann
sich nicht mehr beholfen werden. Veränderungen
müssen her, der Ort von
Kreativität ist nicht länger nur das
Atelier, sondern auch die Team- und
Vorstandssitzung. Wo ist der Traum
der Moderne hin, in dem sich Leben
und Kunst durchmischen?