art art museum – Folge 4: THE ABRAMOVIĆ TEST

Kunstforum International /

Gast: Hannah Cooke

Museumsdirektorin: Hannah Cooke, Sie sind Künstlerin und Mutter. Über die Kunst möchte ich natürlich mit Ihnen als Mutter sprechen. Die Ausstellung The Abramović Test

zeigt Striche, Linien und Kritzel von Eltern und Nicht-Eltern. Wir haben kunsthistorische Größen wie Ernst Ludwig Kirchner, Maria Lassnig oder Andy Warhol. Aber auch Jüngere, zum Beispiel Jenny Brosinski, David Shrigley, André Butzer oder David Ostrowski. Alle Linien sind Elemente aus ihren Werken, sie wurden von mir isoliert, vergrößert und in schwarz auf weiß gedruckt. Schauen Sie sich ruhig um.

Hannah Cooke: Vielen Dank für die Einladung! The Abramović Test wirkt auf den ersten Blick recht klassisch gehängt und lässt jedem Strich viel Raum. Eine luftige Ausstellung, im Vergleich zu Paste.

M: Von Mutter zu Mutter lese ich Ihnen jetzt eine Stelle aus Marina Abramovićs Interview mit dem Tagesspiegel vor. Susanne Kippenberger stellte die Gretchenfrage: “Wollten Sie nie Kinder haben?” Die Antwort: “Nein. Nie. Ich habe drei Mal abgetrieben, weil ich überzeugt war, dass es ein Desaster für meine Arbeit wäre. Man hat nur so

und so viel Energie in seinem Körper, und die hätte ich teilen müssen. Das ist meiner Ansicht nach der Grund, warum Frauen in der Kunstwelt nicht so erfolgreich sind wie Männer. Es gibt jede Menge talentierter Frauen. Warum übernehmen die Männer

die wichtigen Positionen? Ganz einfach: Liebe, Familie, Kinder – all das will eine Frau nicht opfern.”[1] Mit Ihnen, Frau Cooke, möchte ich untersuchen, ob die Kritzel der kinderlosen Künstler mehr Energie, mehr Pepp haben als die, der kinderhabenen Künstler.

HC: Wenn ich mir die einzelnen Arbeiten kurz ansehe, kann ich erstmal keinen bemerkenswerten Unterschied in der Qualität erkennen. Meine Tochter und ich haben uns die Ausstellung zusammen angesehen und sie hat mich gefragt, ob das alles Werke von ihr seien. Ich sehe das als ein Kompliment an die KünstlerInnen der Ausstellung.
Es fällt vielleicht eine einzige Arbeit etwas aus dem Rahmen. Es ist die von Voigt, sie wirkt recht konzentriert und kalkuliert.

M: Voigt ist Mutter. Vielleicht gäbe es sonst noch mehr Beschriftungen auf den Blättern? Oder würde Voigt noch mehr Pfeile zeichnen, wenn sie in ihrem Privatleben keine Familie hätte? Alles Fragen des Abramović Tests. Vielleicht wären die Kreise und Pfeile noch konzentrierter, wenn sie ihre Liebe nicht teilen müsste??

HC: Ich würde sagen es ist offensichtlich, dass sie Zeit und einen Raum für sich hatte, was für ein Luxus! Wenn man Abramovićs Zitat nimmt, sollte man fast meinen, dass Voigts Arbeit kaum möglich ist. Dass sie tatsächlich intensiv einem Gedanken nachgehen konnte, ist als Mutter demnach doch fast erstaunlich.

M: Vielleicht wären Voigts Zeichnungen ansonsten viel freier? Mit mehr Intensität? Der Kreis wäre schief, die Pfeile expressiver? Zwei andere Positionen könnten hier weiterhelfen: Wir sehen in der unteren Etage eine direkte Gegenüberstellung. Andy Warhol und Cecily Brown. Warhol hat keine Kinder, Brown hat eine Tochter. Ihre Linie ist unterbrochen, vielleicht hat da das Kind geschrien. Warhol konnte die Linie durchziehen. Ein Nachteil für die Mutter?

HC: Ich finde Warhols Strich wirkt viel zu bemüht. Er strengt sich eindeutig zu sehr an, um eine kindliche Zeichnung zu erstellen. Ich denke bei solch einer Technik sind Eltern klar im Vorteil. Wenn die Gedanken ständig zerstreut und unterbrochen werden, müssen sie flexibel und direkt reagieren. Sie müssen den Mut zur Lücke finden. Das gelernte und verkopfte geht verloren, was natürlich den besseren, lockereren Strich macht. Vielleicht kommt man in diesem Zustand dem freien, kindlichen Kritzeln sehr viel näher?
Ich frage mich auch ein wenig warum Warhol oder auch Kirchner, so sehr versuchen den kindlichen Strich nachzuempfinden.

M: Sie versuchten es, aber schafften es doch nicht.


HC: Ich finde Kirchner sehr authentisch. Sein Strich wirkt als wolle er Sprache und Schrift nachahmen.

M: Kirchner hängt direkt neben Butzer. Butzer spielt mit seinen Kindern Fußball im Garten. Er ist also öfter abgelenkt. Kirchner musste keine Pausen machen. Seine Haken und Kritzel sind daher dichter beieinander. Bei Butzer fliegen sie vereinzelt im Raum umher. Ähnlich wie bei Brown und Warhol, da gab es ja auch den Aspekt der Unterbrechung. Ist hier also weniger Pepp im Spiel? Wäre Abramovićs Fazit, dass Kinder die Kritzeldichte stören? Sind Kirchners Haken intensiver, weil sie untereinander verbunden sind?

 
HC: Ich weiß nicht ob und wie sich Abramović dazu äußern würde. Sie kann sich ja immer und ständig sich selbst und ihren künstlerischen Themen widmen und scheint meist kein großes Interesse an anderer Kunst zu haben. Zumindest wirkt das auf mich so. Außerdem liegt es ja auch nicht an uns KünstlerInnen andere Arbeiten zu kritisieren. (lacht)
Meine Rolle hier über eine Ausstellung anderer KünstlerInnen zu sprechen ist doch recht ungewöhnlich. Ich versuche daher die Werke heute mehr aus der Perspektive der Mutter zu sehen. Was auch immer das bedeuten mag…
Butzers Werk scheint doch recht unkonzentriert immer wieder neu anzusetzen.  Kirchner hingegen kommt mir so vor, als hätte er von rechts nach links gekritzelt.

M: Ich möchte es kunsthistorisch einmal ganz genau nachprüfen. Am Geodreieck kommen wir nicht vorbei. Bei Kirchners Kritzeln tauchen abfallende Haken auf, mit Winkeln von 60, 70 und 50 Grad. Bei Butzer finden wir mehr Winkel, die bei 45 Grad liegen. Liegt das an den Kindern? In einem Gitter-Kritzel tauchen hingegen ein paar 90 Grad Winkel auf. Ich halte fest, dass Eltern den Winkelbereich zwischen 60 und 85 Grad aussparen und führe es darauf zurück, dass sie ihre Energie teilen müssen. Hier liegt der letzte große Unterschied.

HC: Eine Frage habe ich. Warum wurde der Meister des “kindlich, naiven” Zeichnens und Malens nicht in die Ausstellung aufgenommen? Cy Twombly.

M: Hatte der Kinder?

HC: Puh keine Ahnung, ich finde männliche Künstler verstecken ihre Kinder immer wahnsinnig gut. Ich habe fast das Gefühl, dass sie Angst haben, dass Kinder eine Art Karriereblocker sein könnten. Ich frage mich, warum sie das denken. Kinder sind doch eine fantastische Quelle der Kreativität. Vielleicht verheimlichen manche Künstler ihre Kinder auch, weil sie sie schamlos kopieren. Käme das heraus, würden sie an Glaubwürdigkeit verlieren.

M: Ich glaube für eine Mutter wäre es schwieriger. Würde sie ihre Kinder kopieren, würde man sie nicht so ernst nehmen, wie einen Vater, der seine Kinder kopiert. Bei dem Mann wäre es Konzept und Philosophie, bei der Mutter wäre es zu naheliegend oder kitschig. Aber Sie haben Recht, Twombly fehlt hier. Ich hätte ihn wahrscheinlich neben Ostrowski gehangen. Beide sind recht schamlos und direkt. Ostrowskis erste Steigerung in der Linie hat übrigens einen Winkel von 45°. Für Abramović sicherlich nicht intensiv genug, sie hätte vielleicht mehr Kraft in der Hand gehabt, um die Linie höher zu ziehen. Sie muss ihre Energie ja auch nicht teilen. Bei Twombly und Ostrowski kann man sich zudem nie sicher sein, wie sie es meinen. Vielleicht mit Humor. Vielleicht bierernst. Ostrowski ist übrigens Vater. Haben kinderlose Künstler eigentlich weniger Humor? Sind deren Kritzel ernster?

HC: Das ist eine gewagte These! Aber ich verstehe anhand der Auswahl der Werke worauf Sie hinaus möchten! Ostrwowski ist wirklich mutig. Dieser Zarte, verwaschene Strich, der einfach alles sein könnte. Auch sehr poetisch! Ich bin mir aber nicht sicher, ob Kinderlose wirklich weniger Humor haben. Als ich die Zitate von Abramović und Emin las musste ich erst weinen und dann aber doch lachen.

M: Was sagt denn Tracey Emin dazu?

HC: Sie steht in ihrer Aussage Abramović in nichts nach. Sie meint man müsse Kompromisse eingehen um weiterhin mit Kind eine gute Künstlerin sein zu können. Da frage ich mich schon, was sie damit meint. Müssen das Väter heutzutage etwa immer noch nicht? Bedeutet das in der Konsequenz, dass alle Künstlerinnen, die auf dem Höhepunkt ihres Schaffens stehen und international anerkannt sind, trotzdem nicht die beste Kunst machen konnten und Väter-Künstler aber schon? Oder hätte Gerhard Richter sogar noch viel größer werden können, hätte er keine Kinder gehabt? Bei diesen Gedanken verknotet sich mein Gehirn.

M: Bezieht Abramović ihre Ideen auch nur auf Frauen?! Um dies zu überprüfen habe ich hier extra ein Elternpaar eingeladen: Andreas Breunig und Jana Schröder. Breunig blieb bei gewellten Linien, Schröder setzte rundlichere Kringel und Kritzel ins Werk. Ist der Vater hier intensiver als die Mutter?

HC: Ich finde es spannend, dass Schröder so figürlich bleibt. Der Schneemann ist offensichtlich eine Verarbeitung der gemeinsamen Zeit im Schnee. Breuning ist mit seinen zwei Aufwärtsspiralen dem Themenfeld der sich Liebenden in einem eher klassisch, konservativen Metier geblieben. Aber warum berühren sich die Linien nicht? Oder stehen die zwei Linien symbolisch für Zeit und Raum? Der Schneemann, der fast umzufallen droht, hat für mich ein viel intensiveres Moment.

M: Es ist in der Tat sehr interessant, dass sich die Linien nicht berühren. Direkt daneben, Maria Lassnig, kinderlos, aber hingegen mit fast geschlossenen Strichfiguren. Förg als Mann und Vater machte hingegen dichte Knäule. Schröder ist hier offener, fast lässiger. Eine andere Mutter, die extrem lässig ist, ist Jenny Brosinski in der obersten Etage. Daneben die Striche von Albert Oehlen und Andreas Breunig. Es wird deutlich, dass Mütter sich mehr Platz nehmen. Sie dehnen sich aus im Bild. Der Raum wird größer. Daher sollten die Bilder auch teurer werden.

HC: Das kann ich auch seit einiger Zeit beobachten! Ich betrachte das als eine Bewegung in die richtige Richtung. Es ist an der Zeit, dass sich Frauen* und Mütter* mehr Raum nehmen. Brosinskis Arbeit ist eine, die mich am meisten in dieser Ausstellung anspricht. Vielleicht liegt das an der Klarheit und mutigen Strichführung. Vielleicht auch an dem Raum den sie einnimmt. Albert Oehlen enttäuscht mich hingegen etwas! Was ist da los, hat er denn nichts von seinen 3 Kindern gelernt? Warum so bescheiden? Er geht dort oben fast unter. Ich finde er könnte dem Strich ruhig mehr Kraft geben, aber vielleicht hatte er die auch einfach nicht mehr nach drei Kindern. Es wird Zeit, dass sich auch die Väter in Ihrer Künstler Rolle mehr trauen und sichtbar werden.
Was ist eigentlich mit Shrigley? Warum haben Sie ihn über Ostrowski gehängt?

M: David Shrigley ist meines Wissens kinderlos. Sehen sie sich all diese kurzen Striche an. Man könnte auch sagen: Kein Durchhaltevermögen. Dafür schlagen sie höher aus. Ostrowskis Linie bleibt zwar flach, dafür aber stur. Was ist jetzt höher zu bewerten? Jahrzehntelang redete man Künstlerinnen ein, dass sie nicht beides könnten. Das waren nicht nur alte weiße Männer, sondern auch Frauen wie Abramović. Und auch Väter hatten Angst zu viel Zeit im Kinderzimmer zu verbringen. Frau Cooke, Sie haben das Schlusswort. Was müsste sich im Kunstbetrieb ändern, damit Eltern und besonders Mütter eine größere Kritzeldichte aufweisen können?

HC: Faire Entlohnung für die Arbeit, die man macht und eine angemessene Ausstellungsvergütung wären grundlegende erste Schritte! Des Weiteren plädiere ich dafür, dass Altersgrenzen für Stipendien und Residencies überdacht und gekippt werden, um den Druck der perfekten Vita etwas zu mindern. Damit hätten wir alle gewonnen und könnten uns endlich ohne Kompromisse dem widmen was wir am liebsten machen: dem Kritzeln.


[1] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/interview-mit-marina-abramovic-mit-70-muss-man-den-bullshit-reduzieren/13913260-all.html